Rassismus
Die Kehrseite des Karnevals
Bei Kraneval denken die meisten Menschen rund um den Globus gleich an die bunten Fernsehbilder aus Brasilien - Tanz, Freude, Feier. Das ist allerdings die eine Seite des Karnevals. Es gibt auch eine rassistische Seite, die oft subtil, nicht selten aber auch offen daherkommt.
Von Andreas Behn Dienstag, 17.02.2015, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 17.02.2015, 17:00 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Für Luciana Quintela ist Karneval eine zweischneidige Angelegenheit. „Ich genieße es, fünf Tage lang nur zu feiern und zu tanzen. Zugleich werde ich ständig mit Diskriminierung konfrontiert, immer wieder rege ich mich auf“, sagt die 42-jährige Journalistin. Sie ist in der Schwarzenbewegung aktiv und gehört einem Netzwerk an, das den ersten landesweiten Marsch schwarzer Frauen im November dieses Jahres vorbereitet.
Quintela und ihre Mitstreiterinnen sehen im Karneval eine Gelegenheit, über Rassismus aufzuklären. Schon das Bild der „Mulata do Samba“, der Samba tanzenden Mulattin sei diskriminierend. „Der Begriff Mulatte stammt aus der Sklavenzeit und bezieht sich auf ‚Mula‘, den Maulesel, der Lasten trägt“, erklärt Quintela. Die Mulattin werde insbesondere beim Karneval in Rio de Janeiro oft als Objekt dargestellt. Halbnackt tanze sie Samba, komme aber selbst nicht zu Wort, kritisiert die Aktivistin.
Die farbenprächtigen Sambaschulen mit ihren glitzernden Kostümen, die durch das Sambadrom defilieren und weltweit im Fernsehen übertragen werden, lassen die harte Arbeit dahinter kaum erahnen. Fast alle berühmten Schulen Rios stammen aus Armenvierteln, aus den Favelas, in denen auch der Musikstil Samba geboren wurde.
Die Sambaschulen sind der Stolz der Bewohner, die das ganze Jahr über Kostüme nähen, Wagen zimmern und die Aufbauten für die Umzüge bemalen. „Es sind die Schwarzen, die die Arbeit machen. Aber die Kunstdirektoren, diejenigen, die bekannt und berühmt werden, sind zumeist Weiße, die nicht aus den Favelas stammen“, sagt Quintela.
Oft sind die Verkleidungen ein Stein des Anstoßes. Schon eine Woche vor dem Karneval machte ein Umzug in der Stadt Juiz de Fora, unweit von Rio, Schlagzeilen. Unter dem Motto „Luxus-Hausangestellte“ zogen 6.000 Kostümierte durch die Stadt. Das Gesicht malten sie schwarz an, die Lippen übertrieben rot, und dazu trugen sie Afro-Perücken mit wild abstehenden, gelockten Haaren.
In den sozialen Netzwerken wurde der Umzug als rassistisch kritisiert, da das Bild der schwarzen Frau verunglimpft werde. Die Organisatoren des Umzugs, der seit 57 Jahren stattfindet, rechtfertigten sich mit dem Argument, es sei eine „Ehrung der Hausangestellten“ gewesen.
Für die Schriftstellerin Djamila Ribeiro sind solche Verkleidungen problematisch, da sie sich in ihren Augen über Menschen und deren Kultur lustig machen. „Eine schwarze Frau darf kein Karnevalskostüm sein“, sagt Ribeiro kategorisch. Sie sieht Parallelen zur Praxis des „black face“ im 19. Jahrhundert in den USA: „Weiße Männer malten sich schwarz an und vermittelten abfällige Vorurteile bei öffentlichen Aufführungen.“
Beim Karneval in Rio werden die kleinen und großen Umzüge auf den Straßen immer beliebter. Oft ziehen Zehntausende tanzend hinter Kapellen her, ganze Stadtviertel werden zu einer einzigen Partymeile. Die Beliebtheit des Straßenkarnevals kommt auch daher, dass für die meisten eine Karte für das Sambadrom unbezahlbar ist. Die billigste kostet umgerechnet 300 Euro. Deshalb ist der Glamour-Karneval immer mehr ein Spektakel für Touristen und die High Society. Den anderen bleibt nur das Fernsehen.
Auch in der Stadt Salvador im Nordosten wird der Karneval hinterfragt. Dort dominiert nicht der klassische Samba sondern die Axé-Musik, eine Mischung aus Reggae, Samba und Rock. Es gibt auch kein Sambadrom, sondern riesige Umzüge mit großen Trucks mit Bühnen und Bergen von Lautsprechern.
„Auch in Salvador ist es ein Zwei-Klassen-Karneval“, moniert Quintela. Denn nur wer für teures Geld das offizielle T-Shirt kauft, darf innerhalb der Seilabsperrung direkt hinter den Trucks tanzen. „Die große Menge läuft außerhalb der Absperrung. Dort gibt es Gedränge, Überfälle und auch Polizeiübergriffe. Innerhalb der Absperrung sind vor allem die Weißen, die Wohlhabenden,“ sagt Quintela.
In Salvador, der Hauptstadt des Bundesstaates Bahia, sind 80 Prozent der Bevölkerung Schwarze. In ganz Brasilien bezeichnet sich gut die Hälfte der Menschen als Nachfahren der afrikanischen Sklaven – das offizielle Kriterium ist die Selbsteinstufung.
Je dunkler die Hautfarbe, desto ärmer die Menschen, sagt Quintela. Dies werde trotz der Quoten an den Universitäten und im öffentlichen Dienst noch lange so bleiben. Ungeachtet der rassistischen Klischees will sie sich die Freude nicht verderben lassen: „Den Karneval genießen alle, egal ob schwarz oder weiß.“ (epd) Aktuell Feuilleton
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