8. April, Internationaler Roma-Tag
Bürgerrechte stärken – Antiziganismus abbauen
Berichte über Roma sind fast ausschließlich negativ und vorurteilsbehaftet, wie Debatten über "Armutszuwanderung" und "Asylmissbrauch" zeigen. Im Kontrast dazu steht der Internationale Roma-Tag am 8. April. Das Datum erinnert an die Anfänge der Roma-Bürgerrechtsbewegung - eine Geschichte jenseits von Klischees und Stereotypen.
Von Daniela Gress Mittwoch, 08.04.2015, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 09.04.2015, 18:56 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Am 8. April, dem Internationalen Roma-Tag, machen Roma 1 und Nicht-Roma weltweit auf die realen Lebensumstände der Minderheitsangehörigen aufmerksam. Aus diesem Grund fanden v.a. in den letzten Jahren viele Solidaritätsaktionen statt, um gegen Antiziganismus und die Ausgrenzung der Roma zu appellieren. Auch Hilary Clinton meldete sich 2012 anlässlich des Internationalen Roma-Tages zu Wort und verwies auf die Verantwortung von Regierungen gegenüber den Roma.
Schätzungsweise 10 bis 12 Mio. Roma leben in Europa. Zwischen den einzelnen Gruppen in den verschiedenen Ländern existieren große regionale Unterschiede. Entgegen vieler Vorurteile sind sie keine „Fremden“, sondern leben seit Jahrhunderten in Europa. Wie die Mehrheitsgesellschaften sind sie gleichermaßen von gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Wandlungsprozessen betroffen und ihre politischen Vertretungsorgane versuchen, darauf zu reagieren. Doch warum wurde für den Internationalen Roma-Tag ausgerechnet das Datum des 8. April gewählt und was bedeutet dieser Tag für die Roma?
Anfänge einer internationalen Bürgerrechtsbewegung
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begannen Roma verstärkt für ihre Bürgerrechte zu kämpfen. Die Verfolgungserfahrungen nach dem nationalsozialistischen Völkermord an den Sinti und Roma hatten ein kollektives Bewusstsein einzelner Minderheitengruppen in Europa geschärft. Sie begannen sich in den Nationalstaaten des geteilten Europas politisch zu organisieren. Zeitgleich kam es seit Ende der 1960er Jahre zur Gründung von Protestbewegungen in West und Ost, zu globalen Dekolonisierungsprozessen und der Entstehung von neuen sozialen Bewegungen. In diesem Kontext begannen sich vornehmlich Aktivisten der Neuen Linken sowie Menschen- und Bürgerrechtsvereinigungen in Europa auch mit der Situation der Roma auseinanderzusetzen. 2 Dadurch erhielten die Roma die notwendige politische Unterstützung, um ihre Forderungen öffentlich bekannt machen zu können. Ihr Ziel war es, einzelne nationalstaatliche Selbstvertretungsinitiativen transnational zu vereinigen, um von supranationalen Institutionen wie dem Europarat und der UNO anerkannt zu werden.
Am 8. April 1971 kam es schließlich auf dem Ersten Welt-Roma-Kongress in London zu einer internationalen Zusammenkunft von Delegierten nationaler Roma-Bürgerrechtsorganisationen aus 14 Ländern, mit dem Ziel, die Zusammenarbeit im Kampf gegen Diskriminierungen und um Bürgerrechte zu stärken.
Von der Fremd- zur Selbstdefinition: Der Erste Welt-Roma-Kongress
Auf diesem mehrtägigen Kongress wurden wesentliche Konzepte und Strategien für die weitere Entwicklung internationaler und nationaler Bürgerrechtsbewegungen der Roma entwickelt. Eines der wichtigsten Ergebnisse dieser Zusammenkunft war die beschlossene Ablösung von abschätzig konnotierten Fremdbezeichnungen wie „Zigeuner“. Stattdessen einigten sich die Delegierten auf die allgemeine Selbstbezeichnung „Roma“ als Überbegriff für alle Angehörigen der Minderheit. Damit wollten sie die Kontrolle über die Auslegung ihrer eigenen Identität zurückerlangen und diese den Stereotypen der Mehrheitsgesellschaften entgegenstellen.
Zugleich entstand die Idee einer transnationalen Nation, für die eine Nationalhymne und -flagge ausgesucht wurden. Die Roma definierten sich somit als eine eigenständige in der Diaspora lebende Sprach- und Kulturnation mit einer gemeinsamen Geschichte, deren Wurzeln in der indischen Herkunft lägen. 3 Diese Nationsidee symbolisierte den Wunsch nach Einigung der Roma in Europa, um so gemeinsam für den Abbau von Diskriminierungen kämpfen zu können.
Protest und NS-Aufarbeitung: Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland
In der Folgezeit gründeten sich weitere Selbstorganisationen in zahlreichen Ländern, darunter auch in Westdeutschland. Seit Mitte der 1970er Jahre machte dort eine nationale Bürgerrechtsbewegung mit Protest- und Informationsaktionen auf den nationalsozialistischen Völkermord sowie die Diskriminierung der Sinti und Roma in der Bundesrepublik aufmerksam.
Den entscheidenden Durchbruch erzielte die Bürgerrechtsbewegung mit zwei Demonstrationen, die international Aufsehen erregten: Die Gedenkkundegebung im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen 1979 und der Hungerstreik im ehemaligen Konzentrationslager Dachau 1980. Geschickt verbanden die Bürgerrechtler die Mahnung des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma mit politischen Forderungen für die Gegenwart zum Abbau von Vorurteilen und Diskriminierungen. Zahlreiche Medien im In- und Ausland berichteten über die Proteste. Prominente Politiker wie die Präsidentin des Europäischen Parlaments Simone Veil oder Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel solidarisierten sich mit der Bewegung.
- Der Roma-Begriff wird auf europäischer Ebene als Sammelbezeichnung für die unterschiedlichen Minderheitengruppen in Europa verwendet. Da ich in diesem Artikel auch auf die deutsche Minderheit eingehe, verwende ich darüber hinaus den Terminus Sinti und Roma.
- In der Bundesrepublik Deutschland leistete die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ Ende der 1970er Jahre Unterstützung beim Aufbau der Bürgerrechtsbewegung.
- Die Roma stammen von einer kleinen Bevölkerungsgruppe ab, die vor etwa 1.500 Jahren im Nordwesten Indiens lebte.
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