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Füße © aaron vazquez @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Debatte

Birkenstock, das Kopftuch für die Füße

Ich möchte mich weder von männlichen muslimischen Theologen noch von Alice Schwarzer, Heidi Klum oder irgendwelchen neoliberalen Strippenziehern entmündigen und definieren lassen. Von Anja Hilscher

Von Mittwoch, 08.04.2015, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 09.04.2015, 18:56 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Seit 30 Jahren trage ich Birkenstockschuhe. Seit Jahrzehnten trage ich auch ein Tuch auf dem Kopf – so wie Fereshta Ludin, „die mit dem Kopftuch“. Ihre Biographie „Die Enthüllung der Fereshta Ludin“ erschien kürzlich, pünktlich zum aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, dem zufolge das Kopftuchtragen Lehrerinnen nun nicht mehr pauschal verboten werden kann.

Birkenstockschuhe und Kopftuch…. Ich sehe da gewisse Parallelen. Sind es harmlose Kleidungsstücke, oder sind es Symbole? Wenn ja, wofür? Beginnen wir mit den Birkenstockschuhen. Schon als ich angefangen habe, diese Sinnbilder der Ästhetik zu tragen, waren sie, wenn ich mich recht erinnere, aus der Mode gekommen. Nur Alt-68-er trugen die Dinger – damals schon. Ich fing trotzdem an, sie zu tragen. Möglicherweise aus Gründen fehlendes modischen Bewusstseins oder auch, um zu provozieren. Keine Ahnung. Mit Sicherheit aber aus einem Grund: Die Dinger sind erstens ewig haltbar und zweitens unglaublich bequem.

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Letztes Jahr hat mir eine ebenso exzentrische, gute Bekannte, die nicht nur mit Birkenstockschuhen, sondern darüber hinaus auch im Hochsommer mit pinkfarbenen Ohrenwärmern herumläuft, ihr Ersatzpaar geschenkt. Und zwar diese geschlossenen, die schon in den Achtzigern in Lehrerkreisen als so unübertroffen hässlich galten, dass nur die echten Holzfällertypen und Deoverweigerer, Kategorie Hemmingway, sie trugen. Meine Kinder wollen vor Scham nun schier im Boden versinken, wenn ich damit in die Öffentlichkeit gehe. „Mama! Muss das sein?“ „So gehe ich nicht raus mit dir!“ …und immer wieder: „WARUM?“ Man sollte meinen, ein Kopftuch sei schlimm genug.

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Warum? Sehr berechtigte Frage. Wie bereits erwähnt – die Antwort darauf weiß ich bis heute nicht so genau. Zu Anfang waren die Birkenstocks noch nicht so verschrien. Sie waren nur „ein bisschen aus der Mode gekommen“ und „ziemlich hässlich“. Heute sind sie „unerträglich hässlich“ und „Inbegriff einer Provokation“. Die Zeiten sind härter geworden und das Denken zunehmend undifferenzierter. Birkenstockschuhe sind, wie das Kopftuch, zum Symbol einer „Totalverweigerung“ geworden. Der Fehdehandschuh, wütend vor die Füße geknallt. So wird es zumindest von Millionen von Empfängern wahrgenommen. Nur: Was sagt eigentlich der Sender dazu? Und Verweigerung wogegen eigentlich? Es wäre einer konstruktiven Diskussion sehr zuträglich, dies näher zu erörtern. So einfach ist es nämlich nicht. Und was, wenn die empfangene Botschaft, die „Message“, in keinster Weise mit der gesendeten, beabsichtigten, übereinstimmt? Die gesendete Botschaft muss keineswegs identisch sein mit der empfangenen. Sie kann identisch sein. Sie kann auch gewisse Ähnlichkeiten aufweisen – sie kann aber auch völlig verschieden sein. Resultat: Das sogenannte Missverständnis.

Wenn ich zu meinem Mann sage „Man – es ist kalt heute!“, ist es dann meine Schuld, wenn er sonst was in diesen Satz hinein interpretiert? Etwa „Ich hasse diese Klimazone!“ oder „Ich habe dir faulem Biest doch schon letzte Woche gesagt, du sollst die Heizung mal entlüften – aber nein! Jetzt haben wir den Salat!“ oder „Weil du nur Teilzeit arbeitest, können wir uns keinen Ägyptenurlaub leisten und müssen hier frieren!“ Ich bitte Sie um Ihre Meinung! Ist es meine Schuld, wenn mein Mann irgendwelche derartigen wirren Assoziationen hat, nur weil ich darauf hinweise, dass es heute kalt sei? Es ist möglich, dass ich durch diese harmlose Aussage so etwas andeuten will oder unbewusst im Hinterkopf habe. Es ist aber genauso gut möglich, dass ich nicht im entferntesten Hirnwinkel derartige Gedanken habe. Dann wäre die Assoziation meines Mannes nicht mehr und nicht weniger als eine haltlose, paranoide Unterstellung. Nix mit Mediation und alle haben ein bisschen Recht! Es gibt Situationen, da hat einer Recht, und der andere Unrecht. Fertig. Nicht oft, aber es gibt sie. Das ist zumindest meine Meinung.

Selbst, wenn wir annehmen, das Tuch (oder die Birkenstocks) seien eine Totalverweigerung gegen irgendwas, ist der Denkprozess hier noch lange nicht zu Ende. Ab einem IQ von 90 sollte die Selbstachtung dies gebieten. Verweigerung wogegen? Gegenüber Frauenrechten und aufgeklärtem Denken? Verweigerung gegenüber der Ausbeutung der Frau als Sexobjekt – ein Missstand, an den wir uns inzwischen vollkommen gewöhnt zu haben scheinen? Verweigerung gegenüber einer hohlen, neoliberalen Konsumgesellschaft? Oder vielleicht, ganz grundlegend: Verweigerung gegenüber jeglicher Form von Entmündigung und Schubladendenken?

Was mich persönlich angeht, so trifft dies wohl am ehesten zu. Ich möchte mich weder von männlichen muslimischen Theologen noch von Alice Schwarzer, Heidi Klum oder irgendwelchen neoliberalen Strippenziehern entmündigen und definieren lassen. Tatsächlich schaffe ich es auch nach einem Vierteljahrhundert immer noch nicht, meinen Kopf so ganz relaxt zu bedecken. Sagen wir so: Meine Birkenstocks trage ich relaxter als mein Kopftuch. Das sind nämlich zwei völlig unterschiedliche Kaliber. Ich rege mich tatsächlich immer noch höllisch darüber auf, dass das Kopftuch unwidersprochen als islamisches Symbol der Frauenunterdrückung gilt, und dieses Denken sogar Eingang in die Rechtssprechung gefunden hat. Denn fest steht: Im Islam bedecken auch Männer traditionsgemäß die Köpfe. Das islamische Kopftuch ist tatsächlich kein Symbol, schon gar nicht für Unterdrückung. Dieser Gedanke stammt vielmehr aus der Bibel, nämlich dem ersten Korintherbrief. Paulus erklärt dort, dass Frauen in der Kirche ihr Haupt bedecken sollen, weil nur Männer als das Ebenbild Gottes gelten könnten. Dieser nun wirklich diskriminierende Gedanke wird mit wachsender Begeisterung dem Islam unterstellt, wo er aber nicht das Geringste verloren hat. Aktuell Meinung

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  1. D.Leichsenring sagt:

    Ich denke, mit der Freiheit, sich so zu kleiden, wie man will, ist es in Deutschland grundsätzlich nicht weit her. Man erinnere sich nur an die Medienschelte, wenn griechische Offizielle ohne Krawatte auftreten. Andrerseits sind religiöse Symbole auch mit Machtansprüchen verbunden – gerade in Deutschland, wo es mit der Trennung Kirche-Staat auf vielen Ebenen nicht weit her ist. Es ist also noch ein weiter, mit Vorurteilen gepflasterter Weg bis zur Assoziation Birkenstock=bequemes Schuhwerk oder Kopftuch=modisches Accessoire.

  2. Wiebke sagt:

    Also, Birkenstocksandalen zu tragen als Zeichen der Selbstbestimmung, dazu kann ich mich nicht entschließen. Aber ich erwäge, zuminest in kalten Zeiten – und ohne jeden religiösen Hintergrund – vermehrt Kopftuch zu tragen, weil ich diese Diskussion mehr als satt habe.
    Frauen, tragt Kopftücher, Männer am besten auch! -bis endlich noch der letzte Gehinrverquaste ein Einsehen hat!!!

  3. karakal sagt:

    Kopfbedeckung für Männer: Als ich im Jahre 1974 in Saudi Arabien ein Paßphoto für die Aufenthaltserlaubnis benötigte, wurde von mir nur eines mit Kopfbedeckung akzeptiert. Aber inzwischen ist es in vielen arabischen Ländern Mode geworden, seine Halb- oder Vollglatze öffentlich zu zeigen und das Kopftuch oder den Turban als Halstuch oder Schal entfremdet um die Schulter gelegt zu tragen. Wer schon einmal im Winter dem kalten oder im Sommer dem heißen Wüstenwind ausgesetzt gewesen ist, weiß, warum die Männer dort Kopftücher tragen.
    Die Kopfbedeckung der muslimischen Männer kann man auch als zur äußerlich sichtbaren Abgrenzung von den Christen dienend sehen, bei denen laut Paulus die Männer barhäuptig auftreten sollen. Letzterer hat aus dem ursprünglichen Christentum eine neue Religion gemacht […]. Was er gesagt hat, ist für Muslime nicht verbindlich, und im Islam hat Gott kein Ebenbild, da Ihm nichts gleich ist. Ebenso ist bspw. auch der „Gottesstaat“, den laut der Massenmedien die „Dschihadisten“ genannten „islamistischen“ Terroristen angeblich errichten wollen, ein christlicher und kein islamischer Begriff.
    Da nun mein Eintritt in den Islam zugleich auch mein Austritt aus der Sauf-, Sex- und Spaßgesellschaft war, warum sollte ich mich da noch so kleiden wie deren Angehörige, wo ich doch nicht mehr so denke und handele wie sie? Die völlige Anpassung an ihre ungeschriebenen und unausgesprochenen Bekleidungs- bzw. Entkleidungsregeln würde da für mich als Muslim zur Maskerade, zur Verkleidung als Nichtmuslim. Irgend jemand sagte einmal, die Besiegten übernehmen die Art der Sieger, sich zu kleiden. Bei mir jedoch hat der Islam die materialistische abendländische Kultur besiegt, und nicht umgekehrt.

  4. Ilkana sagt:

    An Karakal: Geht es wirklich um Siegen und Besiegte?
    Und sind Sie nicht immer noch Teil der Gesellschaft, die eben nicht nur aus den von Ihnen Beschriebenen besteht, sondern auch aus Muslimen, aus Ernsten und Spaßhabenden, aus Juden, die nicht saufen, aus Christen, die ihre Liebe verantwortungsvoll leben, aus Nichtgläubigen, die anderen barmherziger und hilfsbereiter sind als manch Gläubiger? (Nur um mal Beispiele zu nennen.) Es sind doch nicht alle gleich in dieser Gesellschaft.
    Wann hören die Menschen endlich auf, um die Macht zu streiten, anstatt dass sie dem Schöpfer dienen und sich gegenseitig versuchen zu erkennen, wie es uns aufgetragen ist.
    Lassen Sie uns doch lieber nach dem Frieden suchen

  5. Zainab sagt:

    „Das Tuch, so behauptet Ludin – die hartnäckigste, berüchtigste Kopftuchverfechterin Deutschlands – sei für sie kein Symbol.“

    Damit hat sie wohl Recht, ein Symbol ist es tatsächlich nicht. Aber dafür gekämpft, dass es nicht als solches gesehen wird, haben viele andere muslimische Frauen, nicht nur eine. Ich denke, die hartnäckigsten, berüchtigsten Kopftuchverfechterinnen sind diejenigen Frauen, die in den letzten 12 Jahren unermüdlich für das Recht der Frauen gekämpft haben, mit Kopftuch zu unterrichten, die beiden Lehrerinnen, die jahrelang geklagt haben, die Frauen, die unermüdlich Kontakte zu Juristen gehalten haben, Briefe geschrieben haben, Gutachten erstellt und bezahlt haben, in der Öffentlichkeit auch mal ungemütlich wurden, fernab der Öffentlichkeit immer wieder verhandelt und überzeugt haben. Hut ab, denn diese Frauen haben nicht nur für das eigene Recht gekämpft, sondern für das Recht ALLER Frauen auf Selbstbestimmung. Ihnen gebührt Respekt.