Übers Meer in die Perspektivlosigkeit
Europa hat am Ende doch nichts gemacht
Ahmed aus dem Niger wollte eigentlich in Libyen bleiben. Doch er musste nach Europa flüchten weil NATO-Truppen das Land bombardierten, um Gaddafi zu stürzen. Nun ist er in Berlin. Von Europa fühlt er sich im Stich gelassen. Ein "verrücktes" Leben.
Von Johannes Süßmann Mittwoch, 06.05.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 13.01.2016, 11:01 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die Entscheidung fällt im Sommer 2011. Auf die libysche Hauptstadt Tripolis regnen die Bomben der Nato-Truppen, um Diktator Gaddafi zu stürzen. Ahmed aus dem Niger weiß, dass er sein Leben riskiert. „Ich wollte nicht nach Europa“, sagt er. „Aber in Libyen wurde alles zerstört.“ Also steigt er in ein Schlauchboot, zusammen mit 120 weiteren Flüchtlingen. Das Boot bietet gerade einmal Platz für 20. Sie fahren aufs Meer, es gibt Probleme mit dem Motor, immer wieder. Ahmeds Stimme stockt. „Natürlich ist das gefährlich“, sagt er. „Deswegen sterben ja so viele Tausend Menschen auf dem Mittelmeer.“ Ahmed hat Glück. Nach 24 Stunden erreicht das Boot die italienische Insel Lampedusa.
Knapp vier Jahre ist das nun her, doch zu Ende ist Ahmeds Reise bis heute nicht. Vor rund neun Monaten kam der 27-Jährige nach Berlin. Seine geröteten Augen und die müde Stimme erzählen von Enttäuschung und Resignation. Er habe seine Geschichte schon so oft erzählt, sagt Ahmed. Geändert habe sich nichts. „Wir leben dieses verrückte Leben“, sagt er, stellvertretend für so viele Flüchtlinge. „Wir haben keine Rechte.“
Ahmed gehört zum Kreis der Flüchtlinge vom Kreuzberger Oranienplatz. Vor etwa einem Jahr wurde dort ein Protestcamp aufgelöst. Rund 100 Flüchtlinge fanden daraufhin Zuflucht in Berliner Kirchengemeinden, darunter Ahmed, der erst nach der Räumung nach Berlin gekommen war. Nun wohnt er zusammen mit zehn Gefährten in einer Wohnung in Berlin-Mitte.
Im Kirchenasyl ist Ahmed nicht, denn dazu müsste er sich in einem laufenden Asylverfahren befinden. „Wir schätzen, dass die Mehrheit der Leute vom Oranienplatz, von denen viele aus Lampedusa kamen, ihren Asylantrag damals in Italien gestellt haben“, sagt Rainer Sbrzesny von der Gemeinde am Weinberg. Rund 20 Flüchtlinge sind dort in Obhut und bekommen Nothilfe, wie Sbrzesny es nennt.
Viele der ersten Lampedusa-Ankömmlinge bekamen 2011 in Italien eine Aufenthaltserlaubnis, manche für sechs Monate, manche für mehrere Jahre. Dazu gab es einen Ausweis, mit dem sie sich drei Monate lang frei in Europa bewegen konnten. Zum Beispiel nach Berlin – wo sich der Senat nun aus formalen Gründen nicht zuständig fühlt. Wo die Flüchtlinge keine Unterkunft bekommen und keine Arbeitserlaubnis, und wo sie auf die Hilfe von Ehrenamtlichen angewiesen sind. Viele fahren regelmäßig zurück nach Italien, um sich den Ausweis verlängern zu lassen.
Ahmed lebte nach seiner Ankunft auf Lampedusa gut zweieinhalb Jahre in Italien. Über Sizilien kam er nach Rom, lebte monatelang auf der Straße. „Ohne Geld kann man in Italien nicht im Heim wohnen“, sagt er. Wegen der vielen Flüchtlinge sei es sehr schwierig gewesen, eine Unterkunft zu finden. Trotzdem ging Ahmed zur Schule, wollte Italienisch lernen. Durch kleine Jobs bekam er etwas Geld, zog mit einem Freund in eine kleine Wohnung. Als beide ihre Arbeit verlieren, müssen sie raus. „Ich musste etwas ändern, wollte ein neues Leben beginnen“, erzählt er. Also stieg er in den Bus und fuhr nach Deutschland.
Sein Heimatland hat Ahmed 2009 verlassen. Die Situation dort sei sehr schwierig, erzählt er. „Eigentlich haben wir viele Bodenschätze, Uran zum Beispiel.“ Doch die würden von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich ausgebeutet, während die Bevölkerung Hunger leide. Hinzu komme eine korrupte Regierung und eine wachsende Zahl an Islamisten der Terrorgruppe Boko Haram, die von Süden über die Grenze zu Nigeria ins Land drängten. Ahmed ging ins Nachbarland Libyen, wo er sich mit Gelegenheitsjobs durchschlug. Bis die Bomben fielen.
„Ich habe nicht davon geträumt, hierher zu kommen“, sagt er. „Ich wollte einfach nur in Sicherheit sein.“ Die Flüchtlinge seien nicht kriminell. Sie wollten einfach nur wie normale Bürger leben, ohne Diskriminierung. „Die Europäer haben schon so oft gesagt, dass sie etwas ändern möchten und es am Ende doch nicht gemacht“. Europa lasse sie im Stich. (epd/mig) Leitartikel Politik
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