Ramadan
Das Fasten-Outen der Muslime
"Was? Du fastest im Ramadan? Das ist nicht gesund. Und trinken tust Du auch nichts? Nicht einmal Wasser? Und das im Sommer. Das ist aber gefährlich." Kennen Sie das? Ja, ich auch. Es ist doch jedes Jahr dasselbe. Von Hanaa El Idrissi-Wenzel
Von Hanaa El Idrissi-Wenzel Montag, 22.06.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 25.06.2015, 16:33 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Ja, hier bin ich wieder, mitten im Sturm der Entrüstung. Die entsetzten Tiraden gehen weiter. Gepaart mit einem beschwichtigen Lächeln und dem Ich-Weiss-Wovon-Ich-Rede-Blick. Dass ich seit 25 Jahren faste und ich meinen Körper gut genug kenne, interessiert niemanden.
Was mich innerlich wütend macht. Jedes Jahr im Ramadan stehe ich vor der Entscheidung: teilst du dich deinen Kollegen mit oder kommst du auch so durch den Ramadan? In diesem Jahr musste ich mich mal wieder dafür entscheiden. Bei uns auf der Arbeit gibt es feste Kaffee- und Essenszeiten. Und das hat mich in die Bredouille gebracht, mich „outen“ zu müssen. Und das Entsetzen war auch in diesem Jahr sehr groß.
Eigentlich hatte ich mich gut vorbereitet. Am Abend zuvor ging ich alle Vorbehalte durch und formulierte Gegenargumente: Kein Stress, ich mache das seit Jahren; ich bin nicht die Einzige; 23% der Weltbevölkerung oder 1,6 Milliarden Menschen sind Muslime, von denen mindestens die Hälfte fastet wie ich; ich hab das schon im Griff; nein, das Fasten schadet nicht der Gesundheit…
Es gibt noch sehr viele weitere Argumente für das Fasten. Doch die scheinen niemanden zu interessieren. Es geht eher darum, mir zu vermitteln, wie hinterwäldlerisch die ganze Sache ist: „Aber Du trägst doch gar kein Kopftuch und Du bist doch hier geboren und das brauchst Du doch gar nicht.“
Wow!
Die zweite Runde
In der zweiten Runde wird dir von einem Freund berichtet, dem es ganz schlecht während des Ramadan ging, er kaum zu ertragen war: schlecht gelaunt, ungeduldig, aggressiv, krank. Und schwuppdiewupp verteidige ich Menschen, die ich nicht kenne. Ich beschwichtige: Nein, ich werde meine Gesundheit schon nicht auf’s Spiel setzen. Ich erkläre, dass das Fasten nachgeholt werden kann bei Krankheiten, dass das Fasten ohnehin viele Ausnahmen kennt, und das es während der Fastenzeit um mehr als nur um Essensverzicht geht. Ich starte eine sehr abgespeckte und für den Durchnitts-Nichtmuslim eine Einheit Religionskunde mit komparativen Elementen.
Während ich das tue, frage ich mich, wie ich denn jetzt schon wieder dahin gekommen bin? Ich wollte doch nur klarstellen, dass ich die nächsten vier Wochen während der Mittagspause nicht mitkomme. Und so langsam wird die innere Wut größer. Ich kann nicht fassen, wie übergriffig diese Menschen sein können. Was quatschen die mich so voll?
Als ob die wirklich an meiner Gesundheit interessiert wären. Bisher hat mir auch keiner den ungesunden Schokoriegel aus der Hand gerissen oder mich daran erinnert, dass ich am Tag noch nicht genug Wasser getrunken habe. Also was soll das? Und wieso muss ich mich rechtfertigen? Es ist doch meine Sache, was ich tue. Ich rolle ja auch nicht mit den Augen, wenn Kollegen eine Zigarette rauchen. Klar, falls meine Arbeitsfähigkeit nachlässt, können die mich gerne auf mein Fasten ansprechen und ich schaue dann, was ich mache.
Was strahle ich denn aus, dass diese Leute mich so zu bevormunden versuchen? Und dann wird es mir wieder bewusst, was mich eigentlich mehr stört, als diese Diskussion: das Gefühl, „die Andere“ zu sein. Die Andere, die nicht zu „uns“gehört. Die zu blöd ist um zu raffen, wie schlecht das Fasten ist.
Dass ich Stärke aus dem Ramadan ziehe, die mich das ganze Jahr trägt, wird mit „ja, ja, ja“ abgetan. Das macht müde und traurig. Jedes Jahr baue ich eine Brücke und jedes Jahr kommt mir niemand entgegen. Im Gegenteil, sie treten gegen die Pfeiler. Und wenn sie merken, dass die Pfeiler stabil sind, gehen sie – in der festen Überzeugung, sie hätten nur nicht fest genug getreten.
Ich mag nicht „die Andere“ sein. Leitartikel Meinung
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Diese Reaktionen sind vor allem deshalb so irritierend, weil Christen, die die Fastenzeit ernst nehmen, genau dieselben Fragen und Mahnungen erhalten. Und beweisen müssen, dass sie sich nicht „unvernünftig“ verhalten, indem sie auf etwas verzichten. Als wäre in unserer Überfluss-Gesellschaft der Verzicht das Unvernünftige.
Es ist kein normales Fasten. Sie verzichten während des Tages auf alles. Es ist nicht vergleichbar mir anderen Fastenzeiten anderer Religionen. Das es körperlich anstrengend ist, sieht man es Ihnen an und es ist keine banale Entfaltung eigener Persönlichkeit. Im Übrigen mit ihrem letzten Satz. „Ich mag nicht “die Andere” sein.“ sagen Sie eigentlich schon alles.
Fakt ist, egal wer „wir“ alle sind, auch wenn einige Sachen anstrengend sind, sind wir ein Teil dieser Gesellschaft.
Da Sie das Fasten unheimlich wichtig finden, während um Sie herum für vielen Menschen Religion keine „öffentliche“ Wirkung hat, müssen Sie dies zwangläufig jeden, sogar sich selbst und Ihrem Nachwuchs, jährlich erläutern. Das ist eben so. Sie sind hier anders und andere sind vielleicht woanders anders und müssen dann rechtfertigen/verstecken, dass sie nicht fasten wollen.
[…] Wie wär’s, wenn sie nicht nur das Pflicht-Fasten des Ramadan einhalten, sondern auch noch zusätzliches freiwilliges Fasten leisten würde, bspw. an den Tagen, für die dies empfohlen ist, wie an drei Tagen in jedem Mondmonat oder jeden Montag und Donnerstag? Das würde vermutlich zunächst noch mehr provozieren, aber am Ende ihre Kollegen und Kolleginnen zum Verstummen bringen, wenn es zur Gewohnheit geworden ist. Fastet sie dann den ganzen Monat Ramadan, würde ihnen das vielleicht gar nicht mehr auffallen.
Ich unterstütze die These, dass jeder mit seinem Körper machen kann was er will. Die Argumente der Nicht-Muslime kenne ich sehr gut. Nannte ich sie doch mein Eigen vor einigen Jahren. Allerdings finde ich sollte man hier differenzieren, warum sie Ausdruck finden. Es gibt sicherlich Kollegen die wirklich besorgt sind und andere für die es etwas unbekanntes ist. Unbekanntes wird von jeder Gesellschaft in der ersten Reaktion abgestoßen.
Des Weiteren darf man imho die Auswirkung des Fastens nicht nur auf die Arbeitsleistung reduzieren. Auch auf die soziale Umgebung hat das einen Einfluss. Und ehrlich gesagt möchte ich nicht von meinen Kollegen nur angesprochen werden, wenn meine Arbeitsleistung sinkt, sondern auch wenn ich nicht mehr mit Essen gehe. ;-)
Und zum Schluss denke ich: Ja die Autorin ist anders als die umgebende Gesellschaft und das ist auch gut so. Denn nur neues bereichert uns und formt eine Gesellschaft. Das die Pioniere hier manchmal das Gefühl haben Sisyphos Arbeit zu leisten, kann ich gut verstehen. Das ist Pionierleistung ;-)
Ich hoffe Sie machen weiter so. Denn nur so funktioniert langfristig Migration (der Gesellschaft und nicht des einzelnen Immigranten)
Hakeem Olajuwon fastete auch während seiner NBA-Spiele und wurde trotzdem Meister Back-to-Back!
Sie wird es vielleicht wundern, aber ich kann aus Erfahrung sagen, dass auch Christen, die fasten, sich genau denselben Fragen stellen müssen und sich rechtfertigen. Das mag zum Einen daran liegen, dass unsere Gesellschaft nicht mehr religiös ist und Viele sich nicht mehr mit der Religion indentifizieren können und orientierungslos sind. Diese Menschen verstehen weder die religiöse Signifikanz des Fastens, noch den Glauben an Gott. Leider ist das so. Machen Sie sich nichts daraus, sondern machen Sie weiter so. Folgen Sie ihrem Herzen und wenn Ihnen das Fasten gut tut, dann machen Sie das, unabhängig von Kommentaren oder Diskussionen. Das gilt übrigens nicht nur für Muslime, sondern auch für Christen und Juden. Anders zu sein ist nicht negativ, sondern signalisiert die eigene Individualität. Sie sind genauso ein Teil der Gesellschaft, wie Diejenigen, die nicht fasten und genau das macht unsere Gesellschaft doch interessant. Darauf können und müssen wir stolz sein.
Nichtmuslimen ist diese Art von Fasten meistens fremd und daher ist es verständlich, wenn diese das nicht nachvollziehen können. Da erklärt man es ihnen halt, wo ist das Problem. Natürlich mag es für uns Muslime manchmal nervig sein, aber vielleicht sollten wir versuchen die Dinge mit den Augen der Nichtmuslime zu sehen und einfach ein wenig Geduld und Verständnis aufzubringen, anstatt gleich aus der Haut zu fahren.
Viel schlimmer finde ich es, wenn man sich als Muslim vor Muslimen rechtfertigen muss, warum man z.B. wegen Krankheit, Menstruation… oder weil es einem im Sommer einfach zu anstrengend ist, nicht fastet. Da habe ich im Gegensatz zum o.g. kein Verständnis dafür.
Der einzige vor dem man sich rechtfertigen muss, warum man nicht fastet, ist Gott und sonst niemand.
Ich finde ja das Ramadan-Fasten nicht so schlimm. Tagsüber esse ich eh sehr wenig und auf trinken verzichte ich sowieso sehr oft. Die Muslime können dann dafür am Abend richtig zulangen, ich war auf diversen Fastenbrechen dabei. Da wird geschlemmt bis zum Umfallen, unglaugliche Leckereien werden bis tief in die Nacht gereicht. Sehr angenehm!
Das christliche Fasten finde ich schlimmer: über mehrere Wochen wird auf bestimmte Sachen PERMANENT verzichtet: kein Fleisch, keine Süßigkeiten, kein Sex, kein Alkohol/Kaffee/Zigaretten, keine Computerspiele, keine unnützen Internet-Surfereien, kein Ausgehen, kein Shopping, keine Reisen. Da weiß man, was Verzicht wirklich ist.
Das muss aber jeder für sich entscheiden. Hauptsache, man fastet!
Da ich beruflich viel mit praktizierenden Muslimen zu tun habe, bitte ich um Tipps, was ich sagen soll, wenn diese Menschen mir erzählen, dass sie fasten.
Ich habe gelegentlich einen „gesegneten Ramadan“ gewünscht. Manchmal wurde mir dann gesagt, dass es ja schwer sei, im Sommer zu fasten. Was soll ich dann am besten antworten. „Passen Sie bitte auf Ihre Gesundheit auf“, war für mich dann einerseits ein Ausdruck meiner Wertschätzung, aber auch ein einer meiner Ratlosigkeit, was ich dazu überhaupt sagen soll.
@frauohneReligionszugehorigkeit
Sie liegen schon voll richtig. Allein ein aufmerksames „gesegneter Ramadan „macht einen schon unglaublich glücklich. Ansonsten reicht auch ein „frohes Fastenbrechen“ zur Abendzeit.