Nach 10 Jahren
Welche Motive hatten die Londoner Attentäter noch?
Vor zehn Jahren verübten vier junge Männer Anschläge auf Londoner U-Bahnen und auf einen Bus. Noch immer sucht man nach den Motiven des Attentats. Noch immer stochern Betrachter im Nebel. Es ist Zeit, zu erkennen: Es gibt kein Motiv. Von Sabine Beppler-Spahl
Von Sabine Beppler-Spahl Donnerstag, 09.07.2015, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 09.07.2015, 16:46 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Am Donnerstag, den 7. Juli 2005, zur morgendlichen Stoßzeit, verübten vier junge Männer Anschläge auf U-Bahnen und einen Bus in London. 52 Menschen starben und über 700 wurden verletzt. Die Täter, im Alter zwischen 18 und 30 Jahren, waren Hasib Hussain, Mohammad Sidique Khan, Germaine Lindsay und Shehzad Tanweer.
Wer waren sie und warum wurden sie zu Mördern? Die erste Frage ist geklärt und wird in einem Untersuchungsbericht, der wenige Monate nach der Tat veröffentlicht wurde, ausführlich beschrieben. Auf die zweite gibt es bis heute keine befriedigende Antwort. Erklärungen, die im Nachhinein gefunden wurden, spiegeln eher die Meinungen und Vorurteile der Betrachter wider als die Realität.
Die verzweifelte Suche nach Motiven riskiert die Rechtfertigung der Tat
So wurde z.B. von den Gegnern des Irakkriegs gemutmaßt, der Anschlag habe etwas mit Großbritanniens Unterstützung für George W. Bush zu tun. Wollten die Täter (junge Muslime mit Migrationshintergrund) auf brutale Art gegen den Krieg protestieren? Weder die vom mutmaßlich Hauptverantwortlichen Khan hinterlassene Video-Botschaft noch sein Abschiedsschreiben und Testament lassen diese Schlussfolgerung zu. Khan spricht zwar wirr von „den permanenten Gräueltaten, die eure demokratische Regierung gegen mein Volk in aller Welt begeht“. Konkrete politische Forderung oder gar ein Programm sucht man vergeblich. Zu Recht schreibt der Untersuchungsbericht, dass die Botschaft in erster Linie die Bedeutung des islamistischen Märtyrertums hervorhebt. Wer versucht, den Tätern eine Anti-Kriegshaltung zu bescheinigen, riskiert, die Tat zu rationalisieren und sogar zu rechtfertigen.
Andere wiederum glaubten, die Mörder seien Teil einer fremdländischen Verschwörung gegen die freiheitlichen Werte des Westens und von außen gesteuert gewesen. Aber auch diese Sicht entspringt der Fantasie des Betrachters. Zwar waren Tanweer und Khan gemeinsam nach Pakistan gereist, doch radikalisiert hatten sie sich in England. Beweise dafür, dass sie Kontakt zu al-Qaida pflegten, gibt es keine. Die von ihnen gezündeten Bomben hatten sie auf eigene Faust gebastelt und bezahlt. Die Darstellung der Täter als vom Ausland gesteuert oder manipuliert, spricht ihnen viel zu viel Eigenverantwortung ab.
Irreführend auch die gelegentlich erhobene Behauptung, der Terror sei durch Einwanderung nach England „eingeschleppt“ worden (weshalb strengere Grenzkontrollen nötig seien). Alle vier waren Engländer und im Land geboren (außer Lindsay, der ein Jahr alt war, als er nach England kam). In dem Bericht heißt es: „Wenig unterscheidet ihre prägenden Erfahrungen von denen vieler anderer aus der gleichen Generation, ethnischer Herkunft und sozialem Hintergrund.“ Drei von ihnen kamen aus stabilen, gut integrierten Mittelklassenfamilien (Lindsay aus eher dysfunktionalen Verhältnissen). Khan, der mutmaßliche Anführer, hatte als Erzieher gearbeitet und wurde von seinen Kollegen hoch geschätzt. Tanweer war ein erfolgreicher Sportstudent und Hussain ein passabler Schüler.
Selbst die Tatsache, dass alle muslimisch waren, erklärt für sich genommen nichts. Interessant ist, dass der Bericht auch die These widerlegt, die vier hätten sich in einschlägigen islamischen oder sozialen Netzwerken kennengelernt. Stattdessen sollen sie mal hier und mal dort Veranstaltungen oder Moscheen besucht haben. Nichts deutet darauf hin, dass sie Jünger eines Hasspredigers oder fanatischen Imams gewesen waren. Khan und Tanweer sollen sich im Fitnessstudio kennengelernt haben. Überhaupt war, neben dem Islam, der Sport das Verbindende der Gruppe, wie auch der Bericht hervorhebt: „Campen, Kanufahrten und Wildwasserrafting (…) sowie andere Outdoor-Aktivitäten sind von besonderem Interesse, weil sie die gemeinsamen Faktoren der 7.-Juli-Attentäter (…) zu sein scheinen.“
Was also war das Motiv der Täter? Die Antwort lautet: Sie hatten keins. Damit stehen sie in einer Linie mit Amokläufern wie den „guten Jungens“ aus Columbine oder dem Co-Piloten von Germanwings-Flug 4U952. Sie sind Verursacher eines lebensfeindlichen, sinnlosen Gewaltakts. Ihnen Motive zu unterstellen, adelt sie unnötig.
Hatten die Morde etwas mit Einwanderung zu tun? Nur indirekt: Ein Großteil der Opfer des 7. Julis waren Migranten, die an diesem ganz normalen Arbeitstag den London Transport benutzten. Sie kamen u.a. aus Polen, Nigeria, Ghana, Afghanistan, Indien, Bangladesch, Rumänien und der Türkei. Aktuell Meinung
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Fachkräftemangel vs. Abschiebung Pflegeheim wehrt sich gegen Ausweisung seiner Pfleger
- „Diskriminierend und rassistisch“ Thüringer Aktion will Bezahlkarte für Geflüchtete aushebeln
- Verwaltungsgerichtshof Nürnberg muss Allianz gegen rechts verlassen
- Ein Jahr Fachkräftegesetz Bundesregierung sieht Erfolg bei Einwanderung von…
- Brandenburg Flüchtlingsrat: Minister schürt Hass gegen Ausländer
- Chronisch überlastet Flüchtlingsunterkunft: Hamburg weiter auf Zelte angewiesen
Es ist erstaunlich, daß die meisten Menschen trotz mehrerer gegenteiliger Hinweise (die Sprengsätze waren unter den Böden der U-Bahn-Wagons angebracht und befanden sich nicht in den Rucksäcken der angeblichen Selbstmordattentäter, letztere hatten Rückfahrkarten gekauft, obwohl sie angeblich wußten, daß sie keine Rückfahrt antreten würden) immer noch davon ausgehen, jene vier muslimischen Jugendlichen hätten die Anschläge verübt. Jetzt kommt noch der Hinweis der Autorin des obigen Beitrags hinzu, daß sie gar kein Motiv hatten. Da zur selben Zeit eine Terroranschlags-Übung stattfand, ist es höchstwahrscheinlich, daß die vier muslimischen Jugendlichen von Geheimdienstkreisen unter Angabe falscher Tatsachen zur Teilnahme an dieser Übung – aus der dann Ernst wurde – geködert worden waren, um mit ihnen eine falsche Spur zu legen.
Wir sollten nicht übersehen, daß Geheimdienste zu jeder noch so großen Schandtat und jedem noch so üblen Verbrechen fähig sind und die finanziellen, technischen und logistischen Möglichkeiten haben, diese so auszuführen, daß die Schuld anderen zugeschoben wird. Erst kürzlich wurde darüber berichtet, daß der britische Auslandsgeheimdienst MI6 – zumindest zeitweise – die Terrororganisation „Islamischer Staat“ unterstützte, weswegen das Gericht eine Anklage gegen einen Unterstützer dieser Organisation stillschweigend fallen ließ, da ansonsten Licht in die geheimdienstliche Unterstützung gekommen wäre.
Selbst wenn sich die Beschuldigungen gegen die Geheimdienstkreise nicht mit hundertprozentig unwiderlegbaren Beweisen erhärten lassen (da die im Staat für diese Verantwortlichen ein Interesse an Verdunkelung und Verhinderung der Aufklärung haben), sollte man gerechterweise neben der anderslautenden offiziellen Version die obige als gleichberechtigt und wahrscheinlich anführen.