Flüchtlinge auf der Alm
In der Schweiz sollen Asylbewerber in der Landwirtschaft arbeiten
Mit einem dreijährigen Pilotprojekt bereiten die Schweizer Behörden den Einsatz zahlreicher Flüchtlinge in der Landwirtschaft vor. Derzeit arbeiten in zehn Betrieben landesweit mehrere Dutzend Flüchtlinge. Durch den Versuch sollen Rahmenbedingungen und Erfolgsaussichten eines solchen Arbeitsmodells geklärt werden. Im Erfolgsfall sei eine Ausweitung wahrscheinlich.
Von Sebastian Stoll Dienstag, 11.08.2015, 8:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 11.08.2015, 16:20 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Von den Einnahmen aus der Kresseernte hat Amin Abdi Fatah seine erste Wohnung gemietet. Mit Dutzenden Säcken Erde ist er jeden Tag unterwegs, mit Abertausenden Samen und einem Streuwagen – und wenn das Saatgut im Boden ist, kümmert er sich um Belüftung, Bewässerung und Ernte. Am Ende eines Monats hat er dann 3.200 Schweizer Franken (rund 3.000 Euro) in der Tasche. Nicht viel in der teuren Schweiz, aber genug, findet Fatah: „Hier kann ich regelmäßig arbeiten. Das ist wichtig für mich, denn ich möchte Geld verdienen.“
Amin Abdi Fatah, 26 Jahre, ist ein Flüchtling aus Somalia, einem Land ohne Zentralregierung und ohne Perspektive. Mit zurzeit fünf anderen Flüchtlinge arbeitet er in einem Betrieb im kleinen Ort Füllinsdorf bei Basel – und mehrere Dutzend sind es wohl im Rest des Landes. Sie arbeiten, sind selbstständig, versorgen sich selbst. Im Rahmen eines Pilotprojekts arbeiten die Flüchtlinge auf insgesamt zehn Bauernhöfen im Land. Das Staatssekretariat für Migration und der Schweizerische Bauernverband wollen herausfinden, ob man die Landwirtschaft auf diese Weise bei Personalnot unterstützen kann.
Drei Jahre dauert das Projekt. Ist es erfolgreich, werden sehr wahrscheinlich weit mehr Flüchtlinge auf den Feldern und in den Ställen arbeiten als bislang: Die Agrarwirtschaft des Landes benötige jedes Jahr zwischen 25.000 und 35.000 Arbeitskräfte aus dem Ausland, sagt Mario Gattiker, Direktor des Staatssekretariats für Migration. „Einen Teil dieses Bedarfs könnte sie mit Flüchtlingen decken.“
Das hat es so in Mitteleuropa noch nicht gegeben: Zwar arbeiten in Deutschland und in der Schweiz viele Flüchtlinge in den unterschiedlichsten Jobs, aber hier träumt eine ganze Branche vom flächendeckenden Einsatz von Flüchtlingen. So wie man im Deutschland der 60er Jahre Menschen ins Land holte und sie „Gastarbeiter“ nannte.
In der Schweiz gibt es diesen Bedarf auch deswegen, weil sich das Land selbst von vielen Arbeitsmärkten abzuschneiden droht: Seit Anfang 2014 die sogenannte Masseneinwanderungsinitiative per Volksabstimmung angenommen wurde, ist die Politik beauftragt, den Zuzug in die Schweiz durch Kontingente zu regeln, was sich auch auf die Landwirtschaft auswirken könnte.
„Die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative ist für die einheimische Landwirtschaft eine Herausforderung“, umschreibt Bauernverbandsdirektor Jacques Bourgeois das Problem. Nicht zuletzt deswegen nehmen an dem Projekt auch nur anerkannte Flüchtlinge teil sowie vorläufig anerkannte Asylbewerber – letztere sind der ersten Gruppe gleichgestellt, solange sich an den Verhältnissen im Heimatland nichts ändert. All diese Menschen leben schon seit längerer Zeit im Land. Nicht teilnehmen dürfen jedoch all jene in die Schweiz geflohenen Menschen, bei denen nicht klar ist, ob sie länger bleiben dürfen.
Diesen Ausschluss kritisiert die deutsche Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl: „Asylbewerber sollten so schnell wie möglich arbeiten dürfen und nicht auf eine Anerkennung warten müssen. Denn sonst hat man unter Umständen Jahre verloren“, sagt Sprecher Tobias Klaus.
Es gehe um eine Weichenstellung, zumindest auf dem deutschen Arbeitsmarkt: „Entweder Isolation in der Großunterkunft oder Integration in den Arbeitsmarkt.“ Einzelne Projekte könnten den Menschen zwar möglicherweise helfen. Wichtiger sei aber, bei den Menschen selbst anzusetzen und sie umfassend zu qualifizieren, sagt Klaus: „Sonst kommen die Leute nicht über Hilfsarbeit hinaus.“ (epd/mig) Aktuell Ausland
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