Bund und Länder
Neue Flüchtlingsprognose heizt Debatte über Aufgabenteilung an
Die neue Flüchtlingsprognose hat die Flüchtlingsdebatte beflügelt. Gefordert werden schnellere Asylverfahren, die Länder dringen auf mehr Kostenbeteiligung des Bundes, der Bund wiederum möchte die EU stärker in die Pflicht nehmen. Fluchtursachen sind kaum Thema.
Freitag, 21.08.2015, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 24.08.2015, 17:31 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Nach der neuen Flüchtlingsprognose der Bundesregierung geht die Diskussion um rasche Maßnahmen zur Bewältigung der Aufgaben weiter. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Vertreter der Länder dringen auf schnelle Asylverfahren. Gleichzeitig wird der Ton gegenüber EU-Staaten lauter, die nur wenige oder gar keine Flüchtlinge aufnehmen wollen. Deutschland nehme 44 Prozent der Flüchtlinge auf, die in die EU kommen, sagte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) am Donnerstag im Deutschlandfunk. Nur zehn Staaten beteiligten sich überhaupt an der Aufnahme. „So funktioniert Europa nicht“, sagte er.
De Maizière hatte am Mittwoch die neue Prognose vorgestellt, nach der 2015 bis zu 800.000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen könnten. „In diesem Jahr müssen und werden wir das verkraften“, sagte er am Donnerstag im Morgenmagazin. Auf Dauer seien 800.000 Menschen pro Jahr jedoch zu viel.
Asylverfahren beschleunigen
Der Innenminister sprach sich erneut für eine Erhöhung der Plätze in zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen von rund 45.000 auf 150.000 aus. Dort liege der Schlüssel für die Beschleunigung der Verfahren. Wenn die Menschen erst einmal auf Kommunen verteilt seien, verlängere sich die Zeit für die Bearbeitung der Asylanträge.
Auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte im ZDF: „Wir brauchen beschleunigte Verfahren. Das ist das A und O.“ Niedersachsens Innenminister Pistorius sagte im Deutschlandfunk, beschleunigte Verfahren seien ein Instrument zur Bewältigung der Lage. Besonders bei denjenigen, die keine Bleibeperspektive haben, sende man damit auch ein eindeutiges Signal in die Herkunftsländer.
Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer der Asylanträge liegt derzeit bei rund fünf Monaten. Ziel der Politik ist es, sie auf drei Monate zu reduzieren.
Dauerthema: Kostenverteilung
Derweil geht auch die Diskussion um die Kostenverteilung bei der Flüchtlingsversorgung weiter. Länder und Kommunen tragen derzeit den Großteil allein. Die Bundesregierung hat bereits zugesagt, ihre Finanzhilfen in diesem Jahr auf eine Milliarde Euro zu verdoppeln und sich ab 2016 strukturell und dauerhaft an den Kosten der Flüchtlingsversorgung zu beteiligen.
Dreyer erneuerte in Die Welt ihren Vorschlag, dass der Bund den Ländern monatlich eine Pauschale von 750 Euro pro Flüchtling zahlt. Nach Recherchen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung müssen die Länder in diesem Jahr bei der Flüchtlingsunterbringung und -versorgung mit Kosten in Höhe von insgesamt zehn Milliarden Euro rechnen. Die Summe ergibt sich aus der neuen Prognose und den von einigen Ländern an Kommunen oder Landkreise gezahlten Pauschalen pro Flüchtling. In Baden-Württemberg liegt die Pauschale laut Zeitungsbericht in diesem Jahr bei 13.260 Euro, in Bremen bei 12.500 Euro, in Berlin bei 12.000 Euro.
EU in der Kritik
Nicht nur national, sondern auch international sorgt derweil die Aufgabenteilung für Aufregung. Pistorius warf der EU-Kommission angesichts der ungleichen Verteilung von Flüchtlingen in Europa Untätigkeit vor. Die Kommission müsse die Mitgliedstaaten anhalten, ihrer Verpflichtung innerhalb des gemeinsamen Asylsystems nachzukommen. „Europa wird von einigen Mitgliedstaaten offenbar betrachtet als eine Art Kuchentheke, aus der man sich herausnimmt, was einem gefällt, aber sich nicht beteiligt an dem, was übrig bleibt“, sagte der SPD-Politiker.
Auch de Maizière forderte am erneut mehr Solidarität innerhalb Eurpoas. Am Donnerstagabend wollte er sich mit seinem französischen Amtskollegen Bernard Cazeneuve in Berlin treffen, um über Fragen der europäischen Flüchtlingspolitik zu beraten.
Jelpke: Fluchtursachen bekämfen
Linkspolitikerin Ulla Jelpke vermisst in der Debatte Lösungsvorschläge zur Ursache von Flucht. „Flüchtlinge werden weiter in großer Zahl kommen, solange die Fluchtursachen weiterbestehen“, so die Linkspolitikerin. Für Kriege und Bürgerkriege, für Armut und Perspektivlosigkeit in den Herkunftsländern der Flüchtlinge tragen laut Jelpke EU und Deutschland eine gehörige Mitverantwortung.
„Millionen Menschen werden in die Flucht getrieben, wenn souveräne Staaten wie Libyen zerbombt oder wie Syrien mit einem durch europäische Waffen angeheizten Söldnerkrieg überzogen werden. Wenn europäische Fangflotten afrikanische Küstengewässer leerfischen und eine den Westbalkanstaaten aufgezwungene neoliberale Privatisierungs- und Kürzungspolitik zu Massenarbeitslosigkeit und Armut führen, werden Hunderttausende ihr Heil in der Flucht in die EU sehen“, so Jelpke. Zu einer grundlegenden Wende der europäischen Flüchtlingspolitik müsse die Bekämpfung von Fluchtursachen gehören – nicht die Schaffung neuer Fluchtgründe. (epd/mig) Aktuell Politik
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