Schuss nach hinten
Selbst bei besondes schutzbedürftigen Menschen entscheidet das Geld
Deutschland ist verpflichtet, besonders schutzbedürftigen Personen bestimmte Mindeststandards zu garantieren. Das tut es aber nicht - wegen der Kosten. Sami Omar weiß, dass das ein Schuss nach hinten ist – er schreibt aus Erfahrung.
Von Sami Omar Mittwoch, 02.09.2015, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 03.09.2015, 17:52 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Wissen Sie, was ein UMF ist? Ich war mal einer. UMF steht für unbegleiteter, minderjähriger Flüchtling. Das Ganze ist lange her, mir wurde viel geholfen. Heute ist mein Migrationshintergrund schwäbisch. Manchmal bestelle ich noch Semmeln, statt Brötchen. Die Rheinländer stört das kaum. Alles, was man für mich erhoffte, als ich noch in einem Ausländerwohnheim in der schwäbischen Provinz wohnte, hat sich erfüllt. Übergewicht. Geldmangel. Markus Lanz. Das sind die größten Ärgernisse meines Alltags. Ich schätze mich glücklich.
Auch den Flüchtlingen, die heute in unseren Städten und Dörfern ankommen, wird geholfen. Kleiderkammern werden eingerichtet, Deutschkurse organisiert und Spenden gesammelt. Die Bürgerinnen und Bürger, die das alles tun, engagieren sich meist ehrenamtlich in Willkommensinitiativen, Vereinen und Kirchen. Sie investieren Zeit, Mühen und Geld. Sie versuchen die Welt um sich herum zu ändern. Was sie nicht ändern können, sind Gesetze.
Am 19. Juli 2013 trat eine EU-Aufnahmerichtlinie in Kraft, deren Lektüre einen hoffnungsvoll stimmen kann. Sie trägt die Nummer 2013/33/EU und regelt die Aufnahme von Flüchtlingen, speziell „besonders schutzbedürftige Personen“. Menschen also, die schwanger sind, Opfer von Menschenhandel oder Folter wurden, Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen und anderes mehr.
Der Einwand, dass diese Kriterien auf viele dieser Menschen zutrifft, macht die Aufgaben nur dringlicher, die von Politikern gerne als gesamtgesellschaftlich bezeichnet werden. Wer physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt war, braucht meist Therapie – und soll sie bekommen. Wer schwanger ist, sollte nicht in Sammelunterkünften leben. Kinder sollten schnellst möglich beschult und solche ohne Begleitung in Obhut genommen werden.
Zwei Jahre Zeit hatten unsere Bundesregierung und alle anderen EU-Mitgliedsstaaten dafür, diese Richtlinie in ein Gesetz zu gießen und umzusetzen. Was passiert ist? Nichts! Schon eine ältere Aufnahmerichtlinie der EU aus dem Jahr 2003 sollte nach zwei Jahren in den EU-Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Ahnen Sie, was passiert ist? Nichts!
Beide Richtlinien sind dazu gedacht, Mindeststandards für die Aufnahme von Flüchtlingen und einen menschenwürdigen Lebensstandart zu sichern. Besonders schutzbedürftigen Menschen soll Therapie und eine zumutbare Unterkunft geboten werden. Im April dieses Jahres forderten Abgeordnete des Bundestages die Regierung in Form eines Antrages zur Umsetzung der Richtlinie auf. Im Jahr 2007 hatte die EU-Kommission die Umsetzung der alten Richtlinie angemahnt.
Der „größte Mangel“ bestehe darin, dass die Mitgliedsstaaten nur unzureichend auf die Bedürfnisse besonders schutzbedürftiger Personen eingehen, bemängelte sie. Das wichtigste hierbei, sagen Kommission und Menschenverstand, ist die Identifizierung dieser Personen. In Deutschland existiert kein Verfahren zur Feststellung besonderer Schutzbedürftigkeit. Und gäbe es eines, müssten Sozialarbeiter geschult und Psychologen bezahlt werden.
Ahnen Sie schon, worum es hier gehen könnte? Unsere Bundesregierung scheut sich aus einem ganz bestimmten Grund vor der Umsetzung der EU-Richtlinie: Wer ein Gesetz verabschiedet, der muss auch sagen, wer für dessen Umsetzung sorgen, – wichtiger noch – wer sie bezahlen soll.
Und wo wir schon von Geld sprechen. Diese Menschen und ihre Kinder werden uns all diese Kosten mehrfach zurückzahlen – wenn wir sie lassen! Aktuell Meinung
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