Münchener Hauptbahnhof
Erste Flüchtlings-Hilfe mit Wasser und Pfirsichen
Am Münchner Hauptbahnhof herrscht improvisierte Ordnung. Bundes- und Landespolizisten geleiten die Flüchtlinge zur medizinischen Untersuchung, die kranken bekommen ein rotes Armbändchen, die gesunden ein grünes. Dann übernehmen Freiwillige die Versorgung.
Von Andreas Unger Donnerstag, 03.09.2015, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 06.09.2015, 16:56 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
„Dieser Zug endet hier“, steht an Gleis 26 des Hauptbahnhofs in München. Aber für viele, die in der bayerischen Landeshauptstadt aussteigen, endet hier viel mehr als eine Zugreise aus Salzburg. Für Ahmet A., der seinen richtigen Namen nicht nennen will, ist es eine fünfmonatige Flucht. Sie begann in seiner syrischen Heimatstadt Homs und führte ihn über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich. „Am schlimmsten war es in Ungarn“, sagt er. Er habe auf der Straße geschlafen, „und wenn Polizisten kamen, haben sie uns kilometerweit durch die Straßen gejagt“.
Am Münchner Hauptbahnhof herrscht so etwas wie improvisierte Ordnung. Viele Dutzend Bundes- und Landespolizisten sind dort, sie geleiten Ahmet A. und die anderen Neuankömmlinge entlang langer Absperrbänder und -gitter zur nördlichen Schalterhalle. Der 21-jährige Marketing-Student ist einer von etwa 1.800 Flüchtlingen, die seit Mitternacht in München angekommen sind. Wie Matthias Knott, Sprecher der Bundespolizei, erklärt, werden sie zunächst medizinisch untersucht – Kranke bekommen ein rotes Armbändchen und werden weiter betreut. Wer gesund erscheint, bekommt ein grünes Bändchen und wird per Bus zu einer der Erstaufnahmeeinrichtungen in Bayern gebracht.
Viele Menschen liegen erschöpft auf Isomatten und Pappkartons, lehnen an der Wand, dazwischen auch Babys und alte Menschen. Ein kleines Mädchen spielt zwischen den Ankommenden auf dem Boden mit einem Kreisel – wahrscheinlich dem einzigen Spielzeug, das es auf der Flucht mitnehmen konnte. Ein junger Mann mit Kappe kommt mit einer Flasche Mineralwasser und Pappbechern vorbei. Flori N. hat einen Aufruf im Radio gehört und ist spontan zum Hauptbahnhof gekommen – seit dem frühen Montagabend ist er schon dort, also seit über 18 Stunden. „Ich bin Barkeeper, für mich sind durchwachte Nächte normal“, sagt er.
Flori N. verteilt Wasser und klappert die umliegenden Restaurants und Supermärkte ab auf der Suche nach Nahrungsmitteln, die ihm kostenlos überlassen werden. „Ich will, dass es möglichst vielen Menschen hier in möglichst kurzer Zeit möglichst gutgeht.“ Seine Stimmung? „Am Anfang war ich glücklich, dass ich helfen konnte, zwischendurch ging’s mir miserabel, ich war müde, aber jetzt geht’s wieder.“ Vor der Schalterhalle parken nicht wie sonst die Münchner Taxen. Links und rechts der Treppe stehen Freiwillige, die Lebensmittel besorgt haben. Mitten auf dem Vorplatz steht der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD).
Ein Bürger hat Reiter in ein Gespräch verwickelt. Es geht um „die ganzen Ausländer“, die den Münchnern jetzt ihre Sozialwohnung wegnähmen. „Überhaupt nicht“, entgegnet der OB entschieden: „Mich regt es auf, wenn eine solche Stimmung geschürt wird. Die Menschen kommen in Sammelunterkünfte, da entsteht keinerlei Konkurrenz. Und heute bin ich vor allem stolz auf die vielen freiwilligen Helfer.“ Eine davon steht in Reiters Nähe, knietief zwischen Schachteln mit Bananen, Butterkeksen, Semmeln und Wasserflaschen.
Emöke Sagi heißt die Helferin, ist 63 Jahre alt und sagt: „Ich bin selber vor 35 Jahren nach Deutschland gekommen. Als Flüchtling aus Ungarn. Und ich weiß noch, wie ihr mir damals geholfen habt, ihr Deutschen.“ Sie erzählt von einer Bekannten, die bei ihrem Vermieter ein gutes Wort für sie eingelegt habe. Von Freunden, die bei der Jobsuche halfen. „So muss es sein“, sagt sie, und dann mag sie nicht mehr länger erzählen, sondern verteilt lieber wieder Tüten mit ein paar Pfirsichen an die Neuankömmlinge. (epd/mig) Aktuell Gesellschaft
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