Gelichter
Vom sozialschmarotzenden Flüchtling zum aufrechten Europäer
Wenn wir dieser Tage an Flüchtlinge denken, dann denken wir meist an Syrer und kaum an Ukrainer. Die werden auch kommen. Und spätestens dann wird sich das Bild des Flüchtlings wieder wandeln müssen, dem Propagandaschlacht der letzten Jahre entsprechend.
Von Sven Bensmann Dienstag, 22.09.2015, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 22.09.2015, 16:40 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Wenn wir dieser Tage an Flucht und Vertreibung denken, dann denken wir meist an Syrien und an Libyen, aber auch an den Irak und an Afghanistan, an all die anderen Länder, die wir zuletzt mit Krieg überzogen haben. Wir denken sicher auch an die Schwarzafrikaner, die vor unserer „Entwicklungspolitik“ fliehen mussten und die wir mal in Libyen in der Wüste verrecken lassen wollten, bis wir den Diktator unserer Herzen fallen ließen.
Und wir wiegen uns in der Sicherheit, dass wir Everybody’s Darling sein können, indem wir mal für ein paar Tage die Grenzen öffnen – als ob man so auch nur ein einziges Problem lösen würde, wenn man weiter am Dubliner Abkommen festhält – nur um danach auf alles zu scheißen, was ethisch ist, und nach rassischen Merkmalen wieder Grenzkontrollen durchzuführen. Immerhin gibt’s ja die Beinahefaschisten in Ungarn, die das Modell Walter Ulbricht wiederbelebt haben, sich einmauern und uns damit den schwarzen Peter abnehmen. Als wenn Flüchtlinge und deren Helfer, die wir zu unseren Mauerzeiten noch Helden, heute jedoch Schleuser, nennen, keinen Weg darum herum finden könnten. Nichteinmal der Tod auf dem Mittelmeer hat bisher eine wirkliche Abschreckung dargestellt.
Doch selbst, wenn wir einen Zaun um die halbe EU bauen, eins haben viele längst vergessen: Wir haben bereits ein weiteres Land mit Krieg überzogen, eines das direkt vor unserer Haustür liegt. Ein Land, das wir langfristig sogar in der EU haben wollen und deshalb nicht einfach ausmauern können. Und das andererseits selbst nicht (mehr) in der Lage ist, seine Grenzen mit Mauern zu befestigen, weil seine Außengrenzen inzwischen unklar und seine internen Strukturen erodiert sind.
Und hierin befinden sich seinerseits bereits Hunderttausende auf der Flucht vor Rassisten und Nationalisten, welche mordend ihre eigene ethnischen Säuberungen durchführen. Nicht alle davon werden an Mutter Russlands Rockzipfel fliehen können und wollen.
Es wird sich zeigen müssen, wann hier die großen Flüchtlingswellen in die EU schwappen und wieviele von dort kommen. In der aktuellen Situation wird die Ukraine nämlich vergessen, aktuelle Zahlen liegen jedenfalls ebensowenig vor, wie eine gemeinsame, nachhaltige, valide Strategie der EU zu Weltpolitik oder Migration.
Spätestens mit den Ukrainern wird sich aber auch das Bild des Migranten wieder wandeln müssen: Vom wirtschaftsflüchtenden Muselmanen und Sinti und Roma, der hier erst in unsere Sozialsysteme einwandern und dann unser Land in die Luft sprengen will, hin zu etwas anderem, wie auch immer das aussehen möge: Nach der großen Propagandaschlacht der letzten Jahre sind die Ukrainer, die zu uns fliehen, immerhin aufrechte Europäer, die Putins Würgegriff zu entfliehen versuchen, und sie sind orthodoxes Abendland.
Immerhin: Auch für Ukrainer hat die pegidische Denktradition bereits einen überlieferten Begriff. Sie nennen sie Untermenschen. Aktuell Meinung
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„Wir haben bereits ein weiteres Land mit Krieg überzogen, eines das direkt vor unserer Haustür liegt.“
Für diese Behauptung kann der Autor sicher Belege nennen.
Mit seiner These, der Westen sei hauptverantwortlich für die Ukraine-Krise, liegt der Autor übrigens ziemlich exakt auf Pegida-Linie. (Die werfen ja der „Lügenpresse“ u.a. vor, einseitig pro-ukrainisch zu berichten.)
„Untermenschen“ waren für die Nazis alle slawischen Völker, also im konkreten Fall Ukrainer wie Russen — das führt hier also nicht weiter. (Und NS-Begriffe und -Vergleiche sind sowieso selten zielführend.)