Immigrierte Chefs
Das Prinzip der Alternativlosigkeit bekommt uns nicht gut!
Die globalisierte Welt und ihre vielfältigen Schwierigkeiten sind komplex. Dagegen ein Vereinfachungsprinzip zu setzen, das die Dinge auf Schwarz und Weiss reduziert ist menschlich und politisch verständlich, in der Sache aber völlig falsch.
Von Dr. Tobias Busch Mittwoch, 30.09.2015, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 01.10.2015, 21:36 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Entweder man hält Putin für einen Verbrecher oder man ist ein Putin – Versteher. Entweder man hat ein Herz und unterstützt Frau Merkels Flüchtlingspolitik oder man hat in dem Land, das Frau Merkel sich wünscht, nichts verloren. Als sich vor 6 Monaten der Eigentümer Ferdinand Piech erlaubt hat, Zweifel an seinem Vorstandsvorsitzenden Winterkorn öffentlich zu äußern, ist ausnahmslos die gesamte Medienlandschaft über ihn hergefallen. Alle wussten nämlich mit Sicherheit, dass dieser Mann unentbehrlich sein würde, dass er Großes geleistet hat, unbedingt mit 68 einen weiteren Vorstandvertrag erhalten muss und entgegen aller Corporate Governance Regeln direkt im Anschluß als Aufsichtsratschef bestellt werden sollte. Jetzt ist es – ein paar Wochen später- alles anders und es wird nicht mehr lange dauern, bis aus einem möglicherweise etwas mittelmäßigen und überbezahlten Topmanager das ultimative Symbol für den Untergang der wirtschaftlichen Werteordnung geworden sein wird.
Ich bin ein lebenslanger Atomkraftgegner und ich erlaube mir, den offenbar emotional oder durch Meinungsumfragen motivierten vorzeitigen Ausstieg nach Fukushima für einen großen politischen Fehler zu halten. Nachdem wir nun einmal eingestiegen waren, war es umso wichtiger, den Ausstieg sorgfältig zu planen und vorzubereiten statt in einer Nacht und Nebelaktion alle Beteiligten vor vollendete Tatsachen zu stellen. Ebenso bin ich dafür, so viele Flüchtlinge in Deutschland Land aufzunehmen, wie wir irgendwie verkraften können – die Politik unserer Regierung in den letzten Wochen halte ich trotzdem für ein Fiasko. Spätestens seit Max Weber, eigentlich seit den alten Griechen wissen wir, dass politische Handlungsethik im Einzelfall Entscheidungen und Signale erfordern kann, die den politischen Entscheidern emotional schwer fallen.
Es geht mir nicht darum, dass unser Land nicht ein oder zwei Millionen zusätzliche Einwanderer verkraften könnte. Der Arbeitsmarkt wird das wahrscheinlich sogar ganz positiv aufnehmen: Vielleicht landen am Ende 10 bis 20% der Neuankömmlinge in regulären Beschäftigungsverhältnissen und weitere 10 bis 20% in irgendwie wertschöpfenden, wenn auch weniger regulären Jobs. Allerdings wohl vorwiegend im Dienstleistungsumfeld und somit oft gering bezahlt: viele Träume werden nicht in Erfüllung gehen, ganz sicher nicht für die erste Generation der Flüchtlinge. Trotzdem: wenn man davon ausgeht, dass später auch ein großer Teil wieder nach Hause zurückkehrt, nachdem sich dort hoffentlich die Verhältnisse etwas befriedet oder anderweitig verbessert haben, scheint die Dimension der Herausforderung in der Tat beherrschbar.
Sicher ist aber, dass das Jahr 2015 Deutschland unumkehrbar weiter verändern wird. Eine zusätzliche Million Flüchtlinge und Immigranten wird die Behauptung, Deutschland sei kein Einwanderungsland, endgültig und nun wirklich für jeden sichtbar ad absurdum führen. In unserer Entwicklung zu einer modernen Gesellschaft wird das auch sehr positive, weil beschleunigende Effekte haben. Die Vielfalt der Biographien und der Herkunft wird deutlich größer werden, die Menschen werden früher als ohne diese Entwicklung das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen als Normalität empfinden und entsprechend entspannter damit umgehen.
Trotzdem scheint mir das politische Vorgehen zur Zeit von wenig Weitsicht geprägt. Das beginnt mit der fehlenden Unterscheidung von Flüchtlingen und Einwanderern und mit der Weigerung, für beide Gruppen jeweils angemessene gesetzliche Regeln zu schaffen. Seit mindestens 20 Jahren ist ein Einwanderungsgesetz, das legale Einwanderung ermöglicht, überfällig. Weiter geht es mit der Ignoranz der Flüchtlingsprobleme dort, wo sie zuerst dringlich werden. In Jordanien etwa, im Irak, im Libanon, in der Türkei, in den EU – Ländern mit südlichen Außengrenzen. Das Dubliner Abkommen war schon bei seiner Entstehung eine Farce, die nur das Ziel hatte, den schwarzen Peter noch für ein paar Jahre den Nachbarn zuzuschieben. Und natürlich gehören Anlaufstellen sowohl für Asylsuchende als auch für potentielle Einwanderer dorthin, wo die Betroffenen sich aufhalten. Es ist doch absurd, dass sich Menschen über Tausende von Kilometern quälen, um dann die schlechten Nachrichten in Deutschland entgegen zu nehmen: das es kein Asyl gibt, keine Arbeitserlaubnis, keine Anerkennung der Berufsausbildung; oder dass die Aussichten auf Arbeit und Weiterentwicklung für viele trübe sind. Das kann man ebenso gut vor Ort organisieren, bevor die Menschen sich auf den Weg machen und die Kosten wären für alle viel niedriger – sozial und geldlich.
Der aber aus meiner Sicht schlimmste politische Fehler ist die Abschaffung einer Debattenkultur in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Erkenntniszuwachs durch zuhörende Uneinigkeit scheint bei uns in den letzten Jahren weitgehend abgeschafft. Unsere große Koalition ist sich bis auf etwas bayerische Folklore in allen wichtigen Fragen immer einig; der kleinere Koalitionspartner findet alles so großartig, dass einige seiner Vertreter schon einen eigenen Kanzlerkandidaten für entbehrlich halten. In den politischen Talkshows sitzen fast immer Menschen, die genau wissen, wie es geht und ganz sicher sind, dass der jeweils andere Unrecht hat. Die Mainstreampresse ist bei den wichtigen Themen staatstragend einig, die Fernsehanstalten ohnehin. Frau Merkel sagt auch nicht, sie habe sich trotz der Bedenken vieler europäischer Partner und trotz der ungenügenden Aufnahmekapazitäten im eigenen Land entschlossen, die Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland zu holen; sie sagt nicht, sie habe Zweifel, hoffe aber, die am Ende richtige Entscheidung getroffen zu haben. Nein, sie sagt, wer ihre Entscheidung für falsch hält, habe in ihrem Land nichts verloren. Mit anderen Worten: die Entscheidung war alternativlos. Die Briten und Franzosen sind eben wieder mal auf völlig dem Holzweg, über die Osteuropäer muss man gar nicht erst sprechen.
Die aus den Krisen in Irak, Syrien und Afrika entstandenen Flüchtlingsbewegungen schaffen – wie übrigens auch das Drama um Griechenland – Dilemmata: Es gibt keine Auswege. Jeder denkbare Weg bringt Probleme, Nachteile, Schwierigkeiten und auch Elend mit sich. Angemessen wäre eine offene Auseinandersetzung über die relativ besten Lösungen. Nicht angemessen ist eine Haltung die so tut, als gäbe es richtig und falsch in diesen Fragen. Wer sich Sorgen macht, ob die deutsche Gesellschaft -weitgehend unvorbereitet- den Zustrom von vielen Hunderttausend Menschen verkraftet, überwiegend junge Männer, ist deshalb nicht menschlich unzulänglich oder politisch fragwürdig. Wer mahnt, die anderen Europäer in das eigene Handeln und vor allem auch die Regierungskommunikation einzubinden, ist vielleicht gar nicht gefühlsarm, sondern von der Wichtigkeit der europäischen Einigkeit überzeugt. Die Behauptung, als Politiker müssen man zunächst seinem Herzen und erst dann seinem Verstand folgen, kann man auch mit guten Gründen für falsch halten! Aktuell Meinung
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