Polizei beschuldigte Mutter
Der Fall Mohamed erinnert an die NSU-Ermittlungen
Der Flüchtlingsjunge Mohamed wurde sexuell missbraucht und ermordet - von einem Mehrfachtäter. Nun ist eine Debatte über Mitschuld der Behörden entfacht. Die Polizei habe Anfangs die Mutter des Kindes beschuldigt, ihren Sohn zu verstecken, um nicht abgeschoben zu werden.
Montag, 02.11.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 05.11.2015, 15:45 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Nun besteht traurige Gewissheit: Der Flüchtlingsjunge Mohamed Januzi ist tot. Bei der am Donnerstag aufgefundenen Kinderleiche handelt es sich um den vor vier Wochen in Berlin verschwundenen Flüchtlingsjungen, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit. Vor seinem Tod wurde der Vierjährige vom seinem Mörder sexuell missbraucht. Kurz danach habe der mutmaßliche Täter Mohamed erdrosselt, um „Schreie des Kindes“ zu unterbinden und Spuren zu verwischen, hieß es weiter.
Mohamed stammte aus Bosnien-Herzegowina und war am 1. Oktober am Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) im Stadtteil Moabit aus der Obhut seiner Mutter verschwunden. Am Donnerstag wurde die Leiche des Kindes im Auto eines Tatverdächtigen gefunden.
Ein aus dem brandenburgischen Niedergörsdorf bei Jüterbog (Kreis Teltow-Fläming) stammender 32-Jähriger hatte die Tat gestanden. Er ist offenbar auch für den Tod von Elias verantwortlich. Der Sechsjährige aus Potsdam wird seit dem Sommer vermisst. Der Tatverdächtige habe auch die Entführung und Ermordung von Elias gestanden, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft weiter mit. Die Ermittlungen dazu laufen auf Hochtouren.
Auch der Fall der fünfjährigen Inga aus Sachsen-Anhalt wird vor diesem Hintergrund neu aufgerollt. Das Mädchen war Anfang Mai vom Gelände des evangelischen Diakoniewerks Wilhelmshof spurlos verschwunden. Nach Angaben von Polizei und Staatsanwaltschaft hat sich Mohameds Mörder zwar nicht zu Inga geäußert. Sachsen-Anhalt grenze aber an Brandenburg, deshalb würden nun mögliche Zusammenhänge geprüft.
Fall Mohamed erinnert an NSU
Der Tod von Mohamed Januzi hat in Berlin unterdessen zu einer Kontroverse darüber geführt, ob die chaotischen Verhältnisse am Berliner Lageso eine Mitschuld am Tod des Kindes tragen. Die Vorstandssprecherin des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg, Ayşe Demir, nannte es am Freitag einen Skandal, dass der Mutter von Mohamed anfangs unterstellt worden sei, sie würde ihr Kind verstecken, um so einer Abschiebung zu entgehen. „Dies erinnert sehr stark an die NSU-Morde, bei denen auch die Familien der Opfer kriminalisiert wurden“, sagte Demir.
Die Grünen-Landesparteivorsitzende Bettina Jarasch wurde mit der Aussage zitiert, dass der Berliner Senat insgesamt die Verantwortung dafür trage, dass sich eine solche Tat nicht wiederhole. „Was mich zugleich umtreibt, ist die Sorge, dass es die chaotischen Zustände am Lageso waren, die dem Täter eine Entführung so leicht gemacht haben“, sagte Jarasch.
Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) zeigte sich entrüstet über die Äußerungen: „Ich bin fassungslos, wie man dieses Verbrechen so schnell instrumentalisieren kann.“ Er halte es für abstoßend, politisches Kapital aus dieser eiskalten Tat schlagen zu wollen und sie mit den Herausforderungen der Flüchtlingslage zu vermischen. „Solche entsetzlichen Verbrechen können auch in anderen Kontexten passieren“, sagte der Berliner Innensenator.
Missbrauchsbeauftragter: Flüchtlingskinder besonders gefährdet
Derweilt fordert der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, einen besseren Schutz für Flüchtlingskinder. Weitere Fälle wie der des entführten und ermordeten Mohamed könnten nicht ausgeschlossen werden, sagte er der Welt am Sonntag. Es sei ein „Skandal, dass im Moment Flüchtlingskinder in den Unterkünften so wenig geschützt sind“.
Durch die Umstände der Flucht sei ein Fünftel der Kinder stark traumatisiert und deshalb besonders schutzbedürftig. „Wenn man Täterstrategien kennt, weiß man, dass gerade diese besondere Schutzbedürftigkeit es Tätern leicht macht, sich Nähe zu Kindern zu verschaffen“, erklärte Rörig. Sie schätzten genau ab, ob sie an Orten wie Flüchtlingsunterkünften, wo Regeln und Kontrollen fehlten, Zugang zu Kindern finden könnten.
„Das Problem ist, dass Menschen ohne Nachweis und Ausweiskontrolle auf diese Gelände gelangen und ohne eine Kontrolle diese Gelände wieder verlassen können“, sagte der Missbrauchsbeauftragte. Die Gefahr für die Kinder und Jugendlichen gehe auch von haupt- und ehrenamtlichen Helfern aus sowie von Wachleuten, die auf dem Gelände von Flüchtlingsunterkünften und Erstregistrierungsstellen tätig sind, fügte Rörig hinzu. Es seien Fälle bekannt, in denen zum Beispiel Wachleute gegenüber Mädchen sexuell übergriffig geworden seien. (epd/mig) Leitartikel Politik
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