Gelichter
Menschenrechte am Arsch
Manche Aussagen, kämen sie aus der AfD, würden als rechtsradikales Geschwätz nicht ernst genommen werden. Oder man heißt Seehofer. Dann kann man sagen, was man denkt. Da werden sogar Haftzonen ganz schnell zu Transitzonen.
Von Sven Bensmann Dienstag, 03.11.2015, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 03.11.2015, 16:49 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Hachja, was für ein Sonntag: Die Regierung aus CDU und CSU einigt sich in der Asylfrage ohne die SPD, nachdem die sich bereits früh aus den Gesprächen verabschiedet hatte, und verkauft das als großen Durchbruch – nachdem die SPD die nächste Wahl bereits abgeschrieben hat, gar nicht mal so weltfremd. Wer braucht schon noch Sozialdemokraten?
Geeinigt haben sich die Unionsparteien offensichtlich darauf, dass man Horst Seehofer zumindest so weit entgegen geht, dass nicht am 20. November das ganz dicke Ende kommt: Alexander Dobrindt beerbt Horst Seehofer.
So sollen zum Beispiel „Transitzonen“ geschaffen werden, die so ausgestaltet werden sollen, dass sie gerade so noch keine Hafteinrichtung seien. Und noch weitere Ideen haben die Unionsparteien aus der Blütezeit konservativ-völkischer deutscher Politik entlehnt: einen speziellen „Flüchtlingsausweis“ sollen die Migranten bekommen. Offensichtlich soll so der Eindruck verhindert werden, sie könnten allzu bald vollwertige Deutsche werden, mit einem deutschem Pass.
Natürlich will die Union auch die Beitrittsverhandlungen mit dem lupenreinen Demokraten Recep Tayyip Erdoğan und seinem sicheren Herkunftsland wieder aufnehmen. Spätestens nämlich seit der in der letzten Woche kritische Sender mit Kettensägen hatte stürmen und anschließend schließen lassen, gilt der antimodern-klerikale Autokrat der CSU als moderner Franz-Josef Strauß und damit praktisch als Heiliger. Dass er wie die CSU ein überreligiöses, von der Moderne weitgehend vergessenes Land mit absoluter Mehrheit an der bürgerlichen Öffentlichkeit seiner Großstädte vorbei regiert, sorgt sicher für zusätzliche Sympathien.
Durch diese Vertiefung der diplomatischen Beziehungen zur Türkei sollen ja bekanntlich Flüchtlinge von Europa „abgewehrt“ werden. So machen sich Stimmen in der CSU zum Beispiel bereits für eine flächendeckende Ausländermaut in der Türkei stark, um so verarmte Kriegsflüchtlinge – im Unions-Jargon „Wirtschaftsflüchtlinge“ – mit finanziellen Mitteln von der Flucht abzuhalten. Einfach, weil sich sowas immer besser verkaufen lässt, als gleich Panzer auffahren zu lassen.
Das muss ja auch die AfD gerade erfahren: Die hat sich von der Rhetorik der Union anstecken lassen und das Wort Seehofers, man müsse Flüchtlinge „bis zur letzten Patrone“ bekämpfen, erneut aufgegriffen. Etwas diplomatischer hat er sich zwar schon ausgedrückt, der NRW-Landesvorsitzende Pretzell, nämlich so, dass Waffengewalt als Ultima Ratio zur „Verteidigung der deutschen Grenzen“ eine Selbstverständlichkeit sein müsse, wenn es nu gar nicht anders ginge. Aber der Pretzell ist eben auch in der AfD, und da muss man vorsichtig sein, da darf man sowas nicht sagen. In der AfD gibt es nämlich Nazis und wenn man sowas sagt, dann gilt man ganz schnell als solcher Nazi. Wenn man Vergleichbares sagen will, muss man schon Seehofer heißen, um über jeden antidemokratischen Zweifel erhaben zu sein. Denn wer in der Union ist, ist schließlich ein Menschenrechtsaktivist per se, dann kann man auch sagen, was man denkt. Und wenn man nicht denkt, sagt man eben, Flüchtlinge müssten „bis zur letzten Patrone“ bekämpft werden. Ein Huch! auf die Demokratie! Aktuell Meinung
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Fachkräftemangel vs. Abschiebung Pflegeheim wehrt sich gegen Ausweisung seiner Pfleger
- „Diskriminierend und rassistisch“ Thüringer Aktion will Bezahlkarte für Geflüchtete aushebeln
- Verwaltungsgerichtshof Nürnberg muss Allianz gegen rechts verlassen
- Ein Jahr Fachkräftegesetz Bundesregierung sieht Erfolg bei Einwanderung von…
- Brandenburg Flüchtlingsrat: Minister schürt Hass gegen Ausländer
- Chronisch überlastet Flüchtlingsunterkunft: Hamburg weiter auf Zelte angewiesen
Wenn man echte Flüchtlinge und reine Wirtschaftsflüchtlinge so in einen Topf wirft wie das die deutsche Linke tut, muss das zwangsläufig Antipathien hervorrufen.
Wenn bei einem Hochwasser alle entschädigt würden, also nicht nur die Opfer, sondern auch diejenigen, deren Hauswände das ganze Jahr feucht sind, würde das ja wohl auch kein gutes Blut hervorrufen bei denen, die nicht betroffen sind, aber dafür zahlen müssen. Der gesamte Migrationsvorgang beruht auf falschen Grundannahmen. Man kann nicht anderen „rechtes Gedankengut“ vorwerfen, wenn man selbst nicht strikt zwischen den zwei Gruppen von Immigranten unterscheidet. Wer gegen Wirtschaftsflüchtlinge ist, ist nicht zwangsläufig gegen Kriegsflüchtlinge. Hier geht es um die Frage, was Asyl eigentlich leisten soll und leisten kann. Das Asylrecht ist nicht dafür gedacht, eine Millionenmasse an Menschen zu finanzieren.
Bei uns gibt es merkwürdigerweise auch nur Flüchtlinge oder Asylanten. Beides negativ besetzt nach dem Motto: „die kommen hierher und nehmen uns was weg.“ Aber wer möchte mit denen tauschen?
Kilometerweit reisen, um endlich in Sicherheit zu sein, im Rumpf von Schiffen zu ertrinken oder in Lastwagen zu ersticken? Im Heimatland herrscht Krieg, Terror, Rechtlosigkeit und Hunger? Und hier wohnen sie dann Monatelang in Massenunterkünften, weil geplante Heime immer gleich nach der Bekanntgabe des Standortes angezündet werden?
Kaum einer benutzt Worte wie Einwanderer oder Migranten. Jemand, der einwandern oder migrieren will, ist dann gleich ein Wirtschaftsflüchtling.
Man könnte sagen, es sind die Medien, die Ängste schüren, aber leider sind es oft die Politiker, die von den Medien dann nur zitiert werden. Traurig. Die Probleme waren schon vorher da, aber nun schaut endlich die ganze Welt darauf, welche Zustände bei uns herrschen. Ohne die Masse an Flüchtlingen wäre das nicht so. Und was machen die Politiker? Sie nutzen die Situation zur Stimmungsmache, die in Richtung Propaganda geht, um Gesetze zu schaffen, die noch menschenverachtender sind.
Es ist eine kontinuierliche Degenerierung, die in Deutschland stattfindet. Eine Gehirnwäsche, die normale Bürger mit Ängsten ansteckt, die sie vorher so nicht gehabt haben. Und alles, um eine mehr oder weniger menschenverachtende, diskriminierende Politik durchzusetzen.
Ich kann nur jedem raten, ab und zu Auslandsnachrichten zu schauen und dann mal den Unterschied zu bemerken, wie das „Problem“ bei uns und in anderen Ländern dargestellt wird. Kann Augen öffnen.
Eine auf einer AfD-Veranstaltung von einer Journalistin befragte „Wutbürgerin“ stellte offensichtlich Muslime grundsätzlich und pauschal mit Ausländern oder Flüchtlingen gleich und forderte, alle „Muslime“ müßten Deutschland verlassen. Wollte man bei dieser Frau nicht tiefgreifende Unwissenheit (darüber, daß es auch zahlreiche deutsche – sowohl konvertierte als auch als Kindern von muslimischen Einwanderern geborene Muslime gibt) als Entschuldigungsgrund geltend machen, so müßte man diese ihre vor laufender Kamera gemachte Äußerung als Ablehnung des im Grundgesetz verankerten Rechts auf freie Wahl und Ausübung der Religion ansehen, ebenso wie sie eine grundlegende Ablehnung des Grundrechts auf Asyl darstellt.
Man stelle sich vor: Eine von einem Haßprediger geleitete islamische Vereinigung würde seit einem Jahr Woche für Woche bei Demonstrationen tausende von Anhängern auf die Straße bringen, die offen wesentliche Artikel des Grundgesetzes ablehnen und zu Gewalt gegen einheimische Nichtmuslime anstacheln. Eine solche Vereinigung wäre vom Innenministerium längst verboten und aufgelöst und ihre führenden Mitglieder wären unter Anklage gestellt worden.
Unverkennbar wird hier mit zweierlei Maß gemessen und grundgesetzfeindlichen Haß predigenden Nichtmuslimen deutscher Herkunft unter Mißachtung geltender Gesetze etwas zugestanden, was man Muslimen niemals durchgehen ließe.
Schließe mich michela voll und ganz an.
Wie die Bundesregierung jegliche Integrationsbemühungen kaputtspart kann man in unserem Blog nachlesen.
Nebenbei gesagt war ein Mädchen wie Anne Frank auch ein „Wirtschaftsflüchtling“. Sie floh ja nicht aus „politischer“ Verfolgung nach Amsterdam, sondern einfach weil sie aus einer jüdischen Familie stammte. Insofern wäre sie hier und heute nicht asylberechtigt.
Nach 1918 gingen viele Österreicher in die Niederlande, einfach weil es in Österreich nichts zu essen gab. Hätte man die alle abschieben sollen, nur weil sie nicht „politisch“ verfolgt waren?
Deutschland will nur ein paar wirklich „politisch Verfolgte“ aufnehmen, am besten Intellektuelle und bekannte Künstler. Wenn aber Millionen von Menschen fliehen, weil man in ihrer Heimat mit „unseren“ deutschen Waffen Krieg führt, dann regen wir uns darüber auf, dass die erstmal in ihrem Land arbeiten sollen und nicht auf unsere Kosten leben sollen. Das ist tatsächlich eine Folge der medialen Berichterstattung. Allein das Wort „Flüchtlingsstrom“ suggeriert schon, dass es sich um eine gefährliche Naturgewalt handelt, die auf dieses Land zurollt.
@michaela So einfach ist es eben nicht.
„Kilometerweit reisen, um endlich in Sicherheit zu sein, im Rumpf von Schiffen zu ertrinken oder in Lastwagen zu ersticken“ trifft das auch bei Flüchtlingen aus Albanien zu oder aus Osteuropa? Abgesehen davon: Wer als Iraker oder Syrer in einem sicheren Lager in der Türkei ist, ist im Sinne unserer EU-Gesetze eigentlich nicht mehr asylberechtigt oder irre ich mich?
[…]
@Georg Niedermüller
Ihre Argumente sind unsinnig, da es im 3. Reich eben antijüdische Gesetze und damit eine politisch Verfolgung gab. Ihre Argumentation erscheint mir etwas krude. Anne Frank wäre bei uns voll asylberechtigt. Ein Österreicher der 1918 auswanderte, war kein Flüchtling im echten Sinn. Auch dieses Argument ist Unsinn. Sie vergleichen Äpfel mit Birnen.
@karakal Das Grundgesetz sieht keinen Sozialstaat für die gesemte Erdbevölkerung auf deutschem Boden vor. Genau das aber wollen manche Linke ja offensichtlich hierzulande praktizieren. Dass das auf Grenzen stoßen muss, die letztlich grundgesetzwidrig sind, ist doch wohl offensichtlich. Das im Grundgesetz verbürgte Asylrecht gilt nur für Leute, die driekt politisch verfolgt sind. Von Kriegsflüchtlingen steht da meines Wissens nicht viel drin.
„(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist.“
Die derzeitige Asylpraxis scheint mir daher grundgesetzwidrig zu sein, da nicht zwischen echt Verfolgten, nicht mehr Verfolgten, Wirtschaftsflüchtlingen, Kriegsflüchtlingen usw. unterschieden wird. Die AFD hat in diesem Punkt zu 100% recht.
Auf der einen Seite werden Ängste geschürt vor der Alterspyramide, dass irgendwann alles zusammen bricht und laut „Fachkräftemangel“ gerufen. Auf der anderen Seite werden Menschen, die hierher kommen und arbeiten wollen als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnet. Und für die Fachkräfte im eigenen Land gibt es zwar Arbeit genug, aber niemanden, der sie dann auch entsprechend bezahlen will / kann. Irgendwie ist das ganz schön schizophren.
@michaele Von der Pisastudie haben Sie aber noch nie etwas gehört?