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Trauer nach dem Terroranschlag in Paris © Maya-Anaïs Yataghène @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Nach Paris

Die Sprachlosigkeit überwinden

Nach den Anschlägen in Paris sind Vernunft und Sachlichkeit in den Hintergrund gerückt. Dominiert wird der Diskurs und das politische Handeln von Emotionen. Eine Fehler mit weitreichenden und fatalen Folgen. Von Ebtisam Ramadan

Von Donnerstag, 26.11.2015, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 27.11.2015, 9:06 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Vernunft und Sachlichkeit. Prinzipien, die vom enormen Wert in einer erfolgversprechenden Debatte über komplexe Ereignisse und deren Zusammenwirken sind. Prinzipien, die jedoch aktuell eine Rarität in der Auseinandersetzung mit den jüngsten Anschlägen in Paris und dem Umgang der französischen Regierung mit diesen Geschehnissen darstellen. Vordergründig sind vor allem emotionale Bekundungen und der damit einhergehende Zwang, die emotionale Betroffenheit aller einzufordern und in den Fokus zu rücken.

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Der Versuch einer analytischen und rationalen Betrachtung der Sachlage scheint vor dem Hintergrund unerwünscht und wird geradezu im Keim erstickt. Die These, dass solch eine Art von Attentat sich wiederholen kann, wenn die Ursachen dieser Attacke nicht eruiert und beseitigt werden, erscheint wie ein Affront sowohl in Frankreich als auch im Rest Europas. Ein Angriff gegen eine friedlebende und nach ihrem eigenen Selbstverständnis aufgeklärte Gesellschaft wirkt paradox. Schließlich beteiligt sich ein Großteil der französischen Bevölkerung nicht direkt aktiv an militärischen Einsätzen anderorts noch ist der Großteil individuell-persönlich an Diskriminierungshandlungen gegen eigene Minoritäten aktiv. Dadurch können und werden auch die Anschläge in Paris als Reaktion auf bedeutende Werte innerhalb der Gesellschaft seitens politischer Scharfmacher zurückgeführt. Die abstrakte Begründung dient als Mittel zum Zweck konkrete kritische Reflexionen zu erschweren.

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Die ideologische Rechtfertigung dieser Tat ist allerdings lediglich ein Vorwand, um politische, soziale und wirtschaftliche Machtinteressen zu verschleiern.

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Unerhört ist nicht, dass dieser Beitrag nicht mit einer Beileidsbekundung begonnen hat. Schließlich wird hier gerade die Beherrschung der Emotionen eingefordert und der Versuch unternommen, die Geschehnisse aus makroanalytischen Gesichtspunkten zu betrachten.

Vielmehr sollte die Aufmerksamkeit darauf gerichtet werden, dass es von einem hohen Grad an Dreistigkeit, Skrupellosigkeit und Unverschämtheit seitens politischer Akteure zeugt, welche diese Morde nutzen, um von ihrer Befehlsgewalt verantwortungslos Gebrauch zu machen und die Möglichkeit eines totalitären Regimes in den Grenzen eines demokratischen Staates zu erörtern.

Stammen die Täter nicht aus der selben Brut wie jene, die vor ungefähr fünf Jahren in den Vororten von Paris Autos anzündeten? Und als die Autos brannten in Paris, wurden diese Taten religiös begründet?

Es geht hier nicht um Religion. Religion dient nur als Vorwand.

Es ist an der Zeit die Debatte über terroristische Anschläge aus dem theologischen Diskurs abzukapseln und in einen entsprechenden gesellschaftspolitischen Diskurs zu verlagern. Der erste Schritt in diese Richtung wäre, muslimischen Theologen keine maßgebliche Verantwortung zur Lösung dieser Konflikte zuzuweisen. Breite Kampagnen zwecks Information über islamische Religionsinhalte mögen interessant sein, jedoch stellen sie keineswegs eine Behebung der Ursache von Krieg und Terror dar. Mit dem Stigma der Präventionsarbeit geht vielmehr eine Assoziation zwischen der Gewaltanwendung und dem Islam einher. Diesem scheinbar kausalen Zusammenhang wird hier allerdings immens widersprochen.

Als anschaulicher Vergleich wird angemerkt, dass ebenso die Ursachen von Rechtradikalismus nicht in der Form bekämpft werden, dass Aufklärungskampagnen über die Gleichheit aller Menschen ins Leben gerufen werden. Ein grundlegender Lösungsansatz für die Bewältigung jeder Form von Extremismus ist die Umsetzung sozialer Gerechtigkeit.

Nochmal: Die religiöse Zugehörigkeit stellt keinen auslösenden Faktor bei der Ausübung solcher Taten dar.

Jeder, der auch nur über Grundkenntnisse gesellschaftlicher Wandlungsprozesse verfügt, erkennt, dass Frankreich sich auf einen Abgrund zubewegt. Es ist der Abgrund einer tiefen Grube, die sich Frankreich vor allem in Kombination ihrer Geschichte als Kolonialmacht mit aktuellen militärischen Interventionen (insbesondere im arabischsprachigen Raum) und ihrer Unterdrückung von Minderheiten im eigenen Land selbst gegraben hat. Die letzt genannte Aussage stellt keinen Vorwurf mit einer moralischen Komponente dar, sondern ist vielmehr ein Ausdruck der groben Faktenlage.

Nunmehr ist es wichtiger denn je, seine Stimme zu erheben und Widerstand zu demonstrieren. Gegen das Töten, welches das Risiko des Getötet-Werdens mit sich zieht. Gegen den Krieg. Gegen den Terror. Gegen die Unterdrückung.

Denn der Übergang vom hypothetischen muslimischen Feindbild zum kriegsankündigenden Gegner ist bereits durch die westliche Medienpropaganda eingeleitet worden. Eine weitere Maßnahme zwecks Legitimation westlicher Kriegsführung in der eigenen Bevölkerung in erdöl- und/oder bodenschatzhaltigen Territorien ist damit veranlasst.

Die öffentliche Positionierung u.a. in Form von Solidaritätsbekundungen von führenden islamischen Verbänden spielt eine überaus bedeutende Rolle. Schließlich wird der religiösen Zugehörigkeit des Rivalen ein wichtiger Stellenwert beigemessen. Latent wird durch den Druck aufgrund der gleichen Religionszugehörigkeit mit den Attentätern und der medialen Konzentration ihres Bezugs auf religiöse Legitimierung ein solidarischer Standpunkt seitens der muslimischen Minderheit innerhalb Europas gefordert. Die meisten islamischen Institutionen werden dieser Erwartungshaltung gerecht. Der Drehschwindel scheint nicht ausgeschlossen in einer Spirale voller Befürchtungen über Verurteilungen und eigenen Abwehrmechanismen. Die Verdrängung der muslimischen Gemeinden in die Defensive hat zum Vorteil, dass sie derart mit Rechtfertigungen beschäftigt sind, sodass Widerstandsbewegungen in diesen Reihen gegen jegliche militärische Interventionen der Regierung (auch in Form von Waffenhandelsbeziehungen mit kriegsgeplagten Staaten) definitiv zu kurz kommen. Es scheint vielmehr, als würde unter muslimischen Mitbürgern die Befürchtung des Vorwurfs der Verbundenheit mit dem „Terror“ einhergehen im Falle von einer offiziellen kritischen Haltung gegenüber dem westlichen Kriegseinsatz.

Die zurechte Verurteilung dieser Attentate und die Distanzierung sowohl auf islamtheologischer als auch auf humanistischer Ebene führen dadurch unweigerlich zur Abgrenzung bezüglich partizipatorischer politischer Handlungskritiken durch die in die defensive Haltung gerückte muslimische Minderheit. Vertreter dominierender muslimischer Verbände werden hier nicht zum Schweigen aufgefordert, eher dazu, den Diskurs nicht hauptsächlich mit islamischen Religionswissenschaftlern zu führen, sondern auf entsprechende fachkundige und kompetente Experten, wie in diesem Fall beispielsweise Sozialwissenschaftler, Psychologen, Historiker und/oder Politikwissenschaftler, unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit zu verweisen. Aktuell Meinung

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  1. karakal sagt:

    In einem Video ist zu sehen, wie französische Nationalisten muslimische Jugendliche zusammenschlagen. Wenn der Staat jetzt nicht wohlüberlegt handelt und mit derselben Härte gegen diese nationalistischen Extremisten vorgeht, wie er gegen randalierende muslimische Jugendliche vorgeht, wird er diese verlieren, und sie werden sich vermutlich radikalisieren. Das gilt nicht nur für die unmittelbar betroffenen Muslime in Frankreich, sondern auch alle muslimischen Jugendlichen in Europa, die solche Szenen zu sehen bekommen oder davon lesen.
    Genau das aber ist es, was der vorgeblich „Islamische Staat“ (IS) mit diesen Anschlägen bezweckt: die Muslime in Europa gewissermaßen zu Geiseln ihres Terrors zu machen, indem die Regierungen und Sicherheitsorgane in diesen Ländern zu überzogenen Maßnahmen getrieben und Teile der Volksmassen zu Gewalttaten an den Muslimen und deren Besitz aufgehetzt werden. Wenn ein Teil der Muslime dem Staat die Loyalität aufkündigt, weil dieser sie nicht ausreichend schützt, und die Zustände chaotisch werden, sind die Terroristen ihrem Ziel einen Schritt näher. Dann werden sie versuchen, in dieses von ihnen geschaffene Chaos einzudringen und es zu verwalten, um selbst die Macht zu ergreifen. So haben sie es bereits im Osten Syriens gemacht: Nachdem sich das syrische Regime dort hatte zurückziehen müssen, wurde das Gebiet kurze Zeit von einigen „gemäßigten“ Gruppen verwaltet, wie der „Freien Syrischen Armee“, doch diese wurden dann vom IS besiegt und vertrieben, und letzterer allein ergriff mit aller Brutalität die Macht.
    Daher ist zu erwarten, daß sich solche Anschläge, wie diejenigen von Paris, wiederholen werden. Wenn die Staatsgewalt in den europäischen Ländern es unterläßt, die dortigen Muslime ausreichend vor verhetzten Extremisten zu schützen, werden die Muslime eines Tages zu ihrem Schutz vermutlich eigene Milizen aufstellen, und dann haben wir Bürgerkrieg und Chaos, und die ausgebildeten Kämpfer des IS werden sich den verzweifelten Muslimen im Westen dabei als Helfer in der Not anbieten… Das ist die langfristige Strategie des IS, die einer seiner Vordenker bereits in einem Buch veröffentlicht hat: „The Management of Savagery“ (in Internet zu finden). Daraus geht hervor, daß diesen Leuten die Religion nur als Vorwand dient, um eine totalitäre faschistoide Herrschaft zu errichten, in der die muslimischen Jugendlichen, die in gutem Glauben in den vermeintlichen Dschihad ziehen, nur nützliche Idioten und Kanonenfutter sind.

  2. SANAA sagt:

    Endlich mal einen Artikel , der das Kernproblem richtig verortet und die politischen Zusammenhänge herstellt. Vieeelen Dank