Vor dem Koalitionsstreit?
Union und SPD haben sich in der Flüchtlingspolitik positioniert
Auf ihren Parteitagen haben CDU und SPD Beschlüsse zur Asylpolitik gefasst. In Berlin müssen die Koalitionäre nun auf dieser Grundlage über konkrete Gesetze verhandeln. Ihre Papiere offenbaren viel Gemeinsamkeit, im Detail aber auch Streitpunkte.
Von Corinna Buschow Mittwoch, 16.12.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 10.01.2016, 23:50 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
„Steuern“, „ordnen“ und „reduzieren“: Will man die Parteitage von CDU und SPD im Bereich Flüchtlingspolitik auf einen gemeinsamen Nenner bringen, diese drei Schlagworte könnten es sein. Bei allen rhetorischen Angriffen gegen den jeweiligen Koalitionspartner scheint durch die Leitanträge zur Asylpolitik viel Gemeinsamkeit. Dass CDU-Chefin Angela Merkel ihren Widerstand gegen die Definition einer Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen durchgesetzt hat, könnte die Gesetzesverhandlungen am Kabinettstisch in Berlin vereinfachen. Doch beim Thema Familiennachzug gibt es Konfliktpotenzial.
Zunächst aber ist viel Konsens: Beide Parteien sprechen sich für europäische Kontingente für die Aufnahme von Flüchtlingen aus – mit dem Ziel zu reduzieren. Merkel spricht davon, die Zahl der Flüchtlinge zu senken, SPD-Chef Sigmar Gabriel redete beim Parteitag in Berlin von einer Reduktion der Geschwindigkeit des Zuzugs – um besser ordnen und steuern zu können. Eine größere Differenz lauert darin nicht. Auch der Wille, Fluchtursachen stärker zu bekämpfen, Außengrenzen besser zu schützen, die Integration voranzutreiben und abgelehnte Asylbewerber konsequenter zurückzuschicken findet sich in den Papieren von CDU und SPD.
Streitpunkt: Familiennachzug
In Berlin hatten sich die Koalitionsparteien zuletzt über das zweite Asylpaket zerstritten, in dem unter anderem Schnellverfahren für Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive und eine Einschränkung des Familiennachzugs gesetzlich geregelt werden sollen. Grundlage ist eine Absprache der Parteivorsitzenden Merkel, Gabriel und Horst Seehofer (CSU) von Anfang November. Vereinbart wurde, dass für Flüchtlinge mit dem untergeordneten subsidiären Schutz die Erlaubnis zum Nachholen der engsten Familienangehörigen für zwei Jahre ausgesetzt wird.
Die SPD stimmte dem damals zu, weil sie davon ausging, dass Syrer nicht unter die Regelung fallen, da sie zum damaligen Zeitpunkt in schriftlichen Verfahren in aller Regel den Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention bekamen. Nachdem jedoch Unionsvertreter die Aussetzung des Familiennachzugs für Syrer ins Spiel brachten und die Innenminister von Bund und Ländern wieder Einzelfallprüfungen für Syrer verlangten, die zum Teil auch in Entscheidungen für subsidiären Schutz münden werden, verweigerte die SPD zunächst ihre Zustimmung zum Asylpaket. Sie beklagte, die Union halte sich nicht an das Vereinbarte.
Vertreter der SPD machten in den vergangenen Tagen deutlich, dass sie beim Familiennachzug nicht nachgeben wollen. Beim Familiennachzug gehe es um Menschlichkeit, „weil es unmenschlich ist, die Männer aufzunehmen und ihre Frauen und Kinder im Krieg zu lassen“, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) beim Parteitag der Sozialdemokraten am vergangenen Donnerstag. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) betonte am Montag in Berlin, die SPD habe kein Interesse daran, den Familiennachzug weiter als vereinbart einzuschränken. Das führe nur dazu, dass sich auch Frauen und Kinder auf den gefährlichen Weg der Flucht machen.
Kompromiss in Sicht
Nun ist es auch an den Innenpolitikern im Bundestag, einen Kompromiss zu finden. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU), sagte dem Evangelischen Pressedienst, der anhaltend große Zugang von Migranten erlaube keinen weiteren Aufschub des Pakets. Nach ursprünglichen Plänen sollte es noch vor Weihnachten verabschiedet sein. Er sei zuversichtlich, dass nun nach den Parteitagen eine Einigung gelingt.
„Ich bin optimistisch“, sagte auch der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Burkhard Lischka, dem epd und skizzierte Kompromisslinien. Demnach könne die SPD auch bei Einzelfallprüfungen von Syrern zustimmen, da vor den schriftlichen Prüfungen nur rund ein Fünftel der Menschen aus dem Bürgerkriegsland subsidiären Schutz erhalten hat. Auf Grundlage einer vom Auswärtigen Amt ermittelten Zahl der vorliegenden Anträge auf Familiennachzug wäre nach Lischkas Angaben ein Kreis von rund 3.600 Personen betroffen – statt 1.700, wie bisher angenommen.
Der SPD-Innenexperte vermutet, dass angesichts der Flüchtlingszahlen insgesamt ein Kompromiss daran nicht scheitern wird. Er rechnet mit einer Verabschiedung des Paketes, das auch die Umsetzung einer EU-Richtlinie mit Verbesserungen in der gesundheitlichen Versorgung von Flüchtlingen vorsieht, bis Ende Januar. (epd/mig) Leitartikel Politik
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