Institut für Bevölkerung
Flüchtlinge als Chance für ländliche Räume
Zwar lassen sich die meisten Flüchtlinge in großen Städten nieder. Doch einzelne Kommunen machen vor, dass Asylbewerber auch zu neuen Landbewohnern werden können. Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung sieht darin ungeahnte Potenziale.
Von Manuel Slupina Mittwoch, 20.01.2016, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 21.01.2016, 17:58 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Im Jahr 2015 wurden bei der Erstverteilung der Asylsuchenden auf die Bundesländer rund 1,1 Millionen Einreisende registriert. Wie genau diese Zahl ist, lässt sich nur schwer abschätzen. Denn die Erfassung ist unvollständig, es kommt zu Doppelzählungen, zu Rück- oder Weiterreisen. Sicher hingegen ist, dass die große Zahl an Flüchtlingen, die derzeit – und voraussichtlich auch weiterhin – nach Deutschland kommen, über das gesamte Land verteilt werden. Auch in kleineren Orten oder entlegenen Regionen sind Menschen aus Syrien, Irak oder Afghanistan angekommen.
Damit stellt sich die Frage, was die zurzeit zu beobachtende Einreise für die ländlichen Regionen bedeutet: Ist es nur ein kurzfristiger Anstieg, der verebbt, wenn keine Notunterkünfte mehr benötigt werden? Oder werden die neu Angekommenen, wenn sie bleiben dürfen, in die Städte weiterziehen? Bisherige Erfahrungen lassen das vermuten.
Verschiedene Faktoren entscheiden darüber, wo es die Zuwanderer hinzieht. In erster Linie wird es der Ort sein, wo bereits Verwandte oder jedenfalls Landsleute leben. Natürlich spielt auch eine Rolle, wo es Arbeitsmöglichkeiten gibt und wo sich eine preisgünstige Wohnung finden lässt. Ländliche Gemeinden, die häufig unter Bevölkerungsrückgang leiden, können damit nur teilweise aufwarten. Sie bieten jedoch andere Vorteile: Wo die Gemeinschaft in Vereinen oder über die Freiwillige Feuerwehr organisiert ist, wo man sich gegenseitig kennt und unterstützt, ist eine Integration prinzipiell leichter möglich als im anonymen städtischen Umfeld. Die mitunter verrufene „soziale Kontrolle“ im Dorf kann auch der Vertrauensbildung dienen. Integration lässt sich nicht „von oben“ anordnen oder vorschreiben. Sie muss vor Ort gestaltet werden.
Musterbeispiel aus Thüringen
Ländliche Kommunen können deshalb ihrem demografischen Abwärtstrend entgegenwirken, wenn sie diesen Vorteil zu nutzen wissen. Einige Gemeinden haben dies bereits erkannt. Im thüringischen Zeulenroda ziehen etwa das Landratsamt, die Handwerkskammer Ostthüringen und die Arbeitsagentur im Bezirk Altenburg-Gera an einem Strang. Zusammen bieten sie 16 jungen Flüchtlingen die Möglichkeit, zuerst einen Sprachkurs zu absolvieren, dann ein Praktikum zu machen, um danach einen Ausbildungsvertrag zu erhalten. Die bestehenden Förderprogramme wurden dabei so miteinander verknüpft, dass die Flüchtlinge die Übergänge von einem in das nächste nicht mitbekommen.
Info: Die Verteilung der Asylsuchenden auf die Bundesländer erfolgt mit Hilfe des sogenannten Königsteiner Schlüssels. Dieser berücksichtigt zu zwei Dritteln das Steueraufkommen und zu einem Drittel die Einwohnerzahlen der Länder. Über 30 Prozent der Asylanträge entfallen daher auf Nordrhein-Westfalen und Bayern. Die fünf neuen Länder kommen zusammen auf 20 Prozent.
Patenrezepte gibt es jedoch nicht. Die Bewohner und die Verwaltung müssen sich jeweils auf Grund ihrer Bedingungen vor Ort überlegen, wie sie Zuwanderer anziehen und vor allem wie sie diese langfristig halten können. Wo dies gelingt, könnten Schulen vor der Schließung bewahrt werden, würde Leerstand zu Wohnraum, könnten neue Geschäfte oder kleine Unternehmen entstehen und stünden fähige Arbeitskräfte zur Verfügung, an denen es vielerorts mangelt. Nötig dafür ist auch Akzeptanz in der Bevölkerung für Menschen aus anderen Weltregionen, heute gerne als „Willkommenskultur“ bezeichnet. Sie trägt dazu bei, dass Zuwanderer zu Mitbürgern werden.
In der Studie „Im Osten auf Wanderschaft“, die am 26.01.2016 auf einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellt wird, hat das Berlin-Institut das Umzugsverhalten in den neuen Bundesländer bis hinunter auf Gemeindeebene untersucht. Das Ergebnis zeigt, dass Menschen je nach Alter sehr unterschiedliche Wanderungsmuster haben, aber auch, dass die demografische Landschaft in Gewinner- und Verliererregionen zerfällt. Dabei wird deutlich, dass es für entlegene und ländliche Regionen im Osten nicht einfach wird, neue Bewohner anzuziehen. Letztlich sind die Gründe, die Menschen antreiben, sich an einem bestimmten Ort niederzulassen, immer die gleichen, unabhängig davon ob es um „eingeborene“ Ostdeutsche, um zugereiste Westdeutsche oder um Zuwanderer aus dem Ausland geht. Aktuell Gesellschaft
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