Clausnitz
Entsetzen über asylfeindlichen Mob hält an
Die Empörung über den asylfeindlichen Mob im sächsischen Clausnitz und in Bautzen ist groß. Auch das Verhalten der Polizei stößt bundesweit auf Unverständnis. Unterdessen wird nach den Ursachen für Fremdenfeindlichkeit in Sachsen gesucht.
Dienstag, 23.02.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 29.02.2016, 17:05 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die fremdenfeindlichen Krawalle in Sachsen haben ein Nachspiel: Die Polizeidirektion Chemnitz setzte am Montag eine elfköpfige Ermittlergruppe zu den Vorfällen in Clausnitz ein. Die Spezialisten der Kriminal- und Schutzpolizei sollen die Geschehnisse im Zusammenhang mit der Belegung einer Asylunterkunft am Donnerstagabend aufarbeiten, wie die Polizeidirektion am Montag mitteilte. Der Leiter der dortigen Asylunterkunft wurde inzwischen versetzt. Die Bundesregierung verurteilte die fremdenfeindliche Vorfälle. „Was da in Clausnitz geschehen ist, ist zutiefst beschämend“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin.
Ermittlungen wurden auch in Bautzen aufgenommen, wo bei einem weiteren Vorfall in der Nacht zu Sonntag Schaulustige beim Brand einer Asylunterkunft applaudierten und versuchten, die Löscharbeiten zu behindern. In Clausnitz in Mittelsachsen hatte ein pöbelnder Mob am Donnerstagabend einen Bus mit Flüchtlingen blockiert und versucht, den Einzug der Asylbewerber in eine neue Unterkunft zu verhindern. Die aggressiven Proteste, an denen sich rund 100 Menschen beteiligten, hatten bundesweit für großes Entsetzen gesorgt. Für Empörung sorgte auch das Verhalten der Polizei, die die verängstigten Flüchtlinge zum Teil mit Gewalt aus dem Bus holte.
Leiter der Asylunterkunft versetzt
Der Leiter der Asylunterkunft in Clausnitz wurde am Montag nach Angaben des zuständigen Landkreises Mittelsachsen versetzt. Er war wegen seiner AfD-Mitgliedschaft umstritten. Zudem soll laut einem Bericht des MDR sein Bruder die fremdenfeindlichen Protestes mitorganisiert haben.
Im ostsächsischen Bautzen brannte in der Nacht zum Sonntag eine künftige Flüchtlingsunterkunft. Die Staatsanwaltschaft Görlitz will nun ein Ermittlungsverfahren gegen drei junge Männer einleiten, die zu den Störern gehörten.
Bundesregierung verurteilt Vorfälle
Die Bundesregierung verurteilte die fremdenfeindlichen Vorfälle scharf. „Wie kaltherzig, wie feige muss man sein, um sich vor einem Bus mit Flüchtlingen aufzubauen und zu pöbeln und zu grölen, um den darin sitzenden Menschen, darunter zahlreiche Frauen und Kinder, Angst zu machen“, sagte Regierungssprecher Seibert.
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) appellierte an die Mehrheit in der bürgerlichen Mitte, nicht länger zu schweigen. „Sie muss sich entschieden zu Wort melden, damit unsere gesellschaftliche Debatte nicht durch die Hetze und den Hass vergiftet wird“, sagte Maas den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe. Es dürfe nicht abgewartet werden, bis es den ersten Toten gebe. Maas sieht auch die Polizei in der Pflicht. Sie habe die Aufgabe, Flüchtlinge vor radikaler Hetze und Übergriffen zu schützen. „Rechtsfreie Räume für Fremdenfeinde darf es nicht geben.“
Grüne bringen Vorfall ins Parlament
Die Grünen im Bundestag haben wegen der fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Clausnitz und Bautzen eine Aktuelle Stunde beantragt. „Der Deutsche Bundestag muss unmissverständlich klar machen, dass wir so etwas nicht dulden können“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, zur Begründung.
Der Berliner Politikwissenschaftler und Rechtsextremismus-Experte Hajo Funke sieht eine Mitschuld der ostdeutschen Politik an den Ereignissen. Rechte Strömungen seien in den ostdeutschen Ländern verharmlost worden, sagte er der Berliner Morgenpost. Diese Strukturen seien allerdings kein rein ostdeutsches Problem, sondern eine Ost-West-Produkt, sagte Funke weiter. Der Westen sei dafür mitverantwortlich. „Die Enttäuschungserfahrungen der vergangenen Jahrzehnte haben bei einigen zu einer Verrohung geführt.“
Polizeigewerkschaft gegen verbale Schnellschüsse
Unterdessen warnte die Gewerkschaft der Polizei (GdP) vor „verbalen Schnellschüssen“. Politische Ferndiagnosen seien wenig hilfreich, erklärte der GdP-Bundesvorsitzende Oliver Malchow. Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte zuvor das Vorgehen der Beamten verteidigt. Die Polizei habe seines Erachtens richtig gehandelt, die von einem grölenden Mob bedrohten Flüchtlinge aus dem Bus in die Asylbewerberunterkunft zu bringen, sagte er in der ARD-Sendung Bericht aus Berlin.
Nach Angaben des Bundesinnenministeriums hat es seit Jahresbeginn mindestens 118 Angriffe auf Asylbewerberunterkünfte gegeben. In 112 Fällen seien rechtsmotivierte Täter für die Übergriffe verantwortlich, teilte das Ministerium mit. Es handelte sich überwiegend um Gewaltdelikte (27 Fälle), Sachbeschädigungen (43 Fälle) sowie Propagandadelikte (31 Fälle). Zudem wurden 17 Brandstiftungen gezählt. Die Zahlen umfassten die ermittelten Angriffe bis zum 15. Februar. Die Übergriffe in Clausnitz und Bautzen seien in der Statistik noch nicht inbegriffen. (epd/mig) Leitartikel Politik
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