Rechte Gewalt stark gestiegen
Tillich räumt Probleme mit Rechtsextremismus ein
Sachsens Regierungschef steht unter Druck. Fremdenfeindliche Proteste wie in Clausnitz und Bautzen sind trauriger Höhepunkt einer Kette von Übergriffen in den vergangenen Monaten. Die Landesregierung muss handeln, um glaubwürdig zu bleiben.
Dienstag, 01.03.2016, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 01.03.2016, 21:25 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) hat nun auch vor dem Landtag eingeräumt, den Rechtsradikalismus im Freistaat unterschätzt zu haben. „Sachsen hat ein Problem mit Rechtsextremismus“ und es sei größer, als viele – auch er – wahrgenommen hätten, sagte Tillich am Montag in einer Regierungserklärung in Dresden. Schon am Freitag hatte er im Bundesrat erklärt, dass Sachsen Probleme mit Fremdenfeindlichkeit hat.
Nach den fremdenfeindlichen Krawallen von Clausnitz und Bautzen hatte der sächsische Landtag eine Sondersitzung einberufen. Die Opposition fordert nun einen klaren Kurswechsel der sächsischen Landesregierung und warnt vor einer weiteren Verharmlosung der Situation im Freistaat. Grünen-Fraktionschef Volkmar Zschocke forderte Tillich auf, „Mut zum selbstkritischen Rückblick“ aufzubringen und „seinen Anteil an der Entwicklung zu analysieren“.
Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in Sachsen – eine Chronologie der Vorfälle seit Sommer 2015.
22. Juni 2015: In Freital bei Dresden demonstrieren etwa 100 Asylgegner vor dem Flüchtlingsquartier. Das Gebäude wird regelrecht belagert. Augenzeugen sprechen von pogromartiger Stimmung. Auch an den Folgetagen finden Anti-Asyl-Demonstrationen statt.
28. Juni: Auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Meißen wird ein Brandanschlag verübt. Am Vorabend hatten sich um die zwei Dutzend Neonazis zusammengerottet, um gegen eine angebliche Gefahr durch Ausländerkriminalität zu protestieren.
24. Juli: Beim Aufbau einer Zeltstadt für Flüchtlinge in Dresden gibt es Proteste. Mitarbeiter des DRK werden angegriffen. Asylgegner wollen den Aufbau behindern. Der Einsatz der Polizei verhindert eine Eskalation.
21./22. August: Im sächsischen Heidenau kommt es zu schweren Ausschreitungen beim Protest gegen eine Flüchtlingsunterkunft in einem ehemaligen Baumarkt. Es kommt zu Ausschreitungen, bei denen Rechtsradikale NS-Parolen skandieren.
8. Dezember: Unbekannte spießen im erzgebirgischen Niederdorf bei Stollberg in der Nacht vor einer Asylunterkunft Schweineköpfe auf. An einem Lichtmast hängen sie Plakate mit flüchtlingsfeindlichen Parolen wie „Bitte flüchten Sie weiter. Es gibt hier nichts zu wohnen“.
26. Dezember: Mit einem vermutlich illegalen Feuerwerkskörper werden mehrere Scheiben an der Eingangstür einer Asylunterkunft in Dresden-Stetzsch gesprengt. Im Haus waren 41 Menschen untergebracht.
5. und 7. Januar 2016: In Chemnitz-Einsiedel kommt es zu rassistischem Protest gegen Asylsuchende. Geflüchtete müssen bei ihrem Einzug in die örtliche Flüchtlingsunterkunft von der Polizei geschützt werden.
18. Februar: In Clausnitz versucht ein aufgebrachter Mob, die Ankunft von Geflüchteten zu verhindern. Die Menge blockiert deren Bus. Polizeibeamte bringen einige der Geflüchteten, darunter auch einen weinenden Jungen, unter Einsatz von Gewalt aus dem Bus.
21. Februar: In Bautzen brennt eine künftige Flüchtlingsunterkunft. Asylgegner klatschen Beifall. Selbst Kinder rufen Medienberichten zufolge rassistische Parolen. Gegen mehrere Personen werden Platzverweise ausgesprochen, weil sie die Löscharbeiten behindern.
Die fremdenfeindlichen und rechtsextremen Ereignisse in Sachsen bildeten eine lange Kette, die beschäme, sagte Tillich. Zu viele Menschen würden den Rechtsradikalismus schweigsam dulden und „daneben stehen oder auf dem Sofa sympathisieren“. Es sei ein „jämmerliches und abstoßendes Verhalten, wenn Flüchtlinge attackiert, Unterkünfte angezündet und unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung missbraucht werden“, erklärte er.
Linken-Fraktionschef Rico Gebhardt warf der Landesregierung vor, lokale Asylproteste wie etwa 2014 in Schneeberg und im vergangenen Jahr in Freital und Heidenau verharmlost zu haben. Vor dem Hintergrund fremdenfeindlicher Angriffe kritisierte er Tillich scharf und warf ihm ein „Wegducken und Ruhighalten“ vor, „wenn es brenzlig wird“.
Der CDU-Fraktionsvorsitzende Frank Kupfer kündigte an, das Programm „Weltoffenes Sachsen“ und die finanzielle Ausstattungen von Demokratie-Projekten zu prüfen. Bei den Haushaltsberatungen stehe zudem die personelle Ausstattung der Polizei an oberster Stelle.
Der sächsische SPD-Fraktionschef Dirk Panther betonte: „Wir haben ein gesellschaftliches Problem in diesem Land.“ Viel zu lange sei relativiert und den geistigen Brandstiftern nicht entgegengetreten worden, sagte er. Grundsätzlich wünsche er sich mehr Demut – auch von Politikern. Vor allem müsse „dem Reden ein Handeln folgen“, forderte Panther.
Regierungschef Tillich wiederholte seine Forderung nach einem starken Staat und mehr politischer Bildung. Zudem werde eine stärkere Zivilgesellschaft und ein intensiverer Dialog mit den Bürgern auf allen Ebenen gebraucht. Tillich wehrte sich zugleich dagegen, „dass durch eine radikale Minderheit der gesamte Freistaat Sachsen in Misskredit gerät“.
Tillich wies die Vorwürfe zurück, Sachsen sei in der Vergangenheit untätig gewesen. In dem Zusammenhang verwies er unter anderem auf die frühzeitig gegründeten Sondereinheiten gegen Rechtsextremismus bei Polizei und Justiz und die Initiativen der Staatsregierung für ein Verbot der rechtsextremen NPD.
Nach Angaben der Opferberatung RAA war in Sachsen für 2015 ein massiver Anstieg rechter Gewaltstraftaten zu verzeichnen. Insgesamt seien 477 rechtsmotivierte und rassistische Angriffe gezählt worden, teilte die Opferberatung in Dresden mit. Rechtsmotivierte Gewalt habe im vergangenen Jahr massiv zugenommen und sich innerhalb von drei Jahren – seit 2012 – mehr als verdoppelt.
Schwerpunkte der Gewalt waren den Angaben zufolge die Städte Dresden (116) und Leipzig (77) sowie die Landkreise Leipzig (56) und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (55). Am häufigsten handelte es sich um Körperverletzungen, gefolgt von Nötigungen und Bedrohungen. 74 Angriffe wurden den Angaben zufolge auf oder im Umfeld von Asylunterkünften verübt. Darunter seien 19 Brandstiftungen und 21 gefährliche Körperverletzungen. (epd/mig) Aktuell Politik
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