Flüchtende in Griechenland
Warten auf eine bessere Zukunft
Gestrandet in Griechenland: Das ist das Los von etwa 30.000 Flüchtlingen, denen der Weg nach Mitteleuropa versperrt ist. Und es können bald mehr werden. Denn immer mehr Menschen wagen von der Türkei aus die Überfahrt über das Mittelmeer. Von Mey Dudin
Von Mey Dudin Donnerstag, 03.03.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 08.03.2016, 17:52 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Badran steht mit seinem 13 Monate alten Enkel Orhan vor einem Stand, an dem freiwillige Helfer Kleider verteilen, und zieht dem Kleinkind neue Schuhe an. Um zu sehen, ob Orhan damit laufen kann, geht er ein paar Schritte zurück. Sofort fängt das Kind zu weinen an, rennt seinem Großvater hinterher und klammert sich an ihn. Seit fünf Tagen leben die beiden in einem der Warteräume des griechischen Hafens von Piräus, von wo aus sie zur mazedonischen Grenze weiterreisen wollen.
Badran ist mit seinen beiden Töchtern und zwei Enkelkindern unterwegs. Sie kommen aus Kamischli, einer Kurdenenklave im Nordosten Syriens. Ihr Ziel ist Deutschland. „Mein Sohn ist schon dort“, sagt Badran. Doch da kommen sie derzeit nicht hin. Für die meisten Flüchtlinge geht es momentan von Griechenland aus nicht weiter. Mazedonien hat die Grenze weitgehend geschlossen.
Anders als noch vor wenigen Wochen sind am Hafen von Piräus keine Busse zu sehen, die die Menschen zum Grenzübergang nahe dem Dorf Idomeni bringen, etwa 500 Kilometer nördlich von Piräus. So ist inzwischen am Hafen, zwischen den Pieren E1 und E2, ein provisorisches Flüchtlingslager entstanden.
In den Wartesälen und an einem alten Lagerhaus, in dessen Nähe aus einem großen Uhrenturm regelmäßig „Ein Schiff wird kommen“ erklingt, das weltberühmte Sehnsuchtslied einer griechischen Prostituierten, sind nun Wäscheleinen gespannt, Decken ausgelegt und Zelte aufgestellt. Freiwillige Helfer sorgen dafür, dass das Essen nicht ausgeht, verteilen Wasser, Decken und basteln mit den Kindern.
Nach Schätzungen griechischer Medien sind derzeit knapp 30.000 Menschen in dem Land gestrandet, etwa ein Drittel von ihnen im Großraum Athen, wo auch der Hafen von Piräus ist. Für die meisten von ihnen ist Griechenland nur eine Station auf der Durchreise – viele wollen nach Deutschland.
Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR kamen im Januar und Februar mehr als 120.000 Menschen über das Mittelmeer in Griechenland an – allein im Januar erreichten etwa 67.000 Bootsflüchtlinge die Inseln Lesbos, Chios, Leros oder Samos. Die Zahl der Asylanträge lag demnach im Januar allerdings nur bei 1.170.
Auch der 20-jährige Jussif will nach Deutschland. Der Englischstudent aus dem Irak erzählt, dass bereits fünf seiner Onkel in Aachen lebten. Auch Jussif sitzt seit Tagen am Hafen von Piräus fest. Er trägt eine neongelbe Weste der freiwilligen Helfer und hilft beim Verteilen der Lebensmittel. Er ist zuversichtlich, dass er bald weiterreisen kann.
Jussifs Flucht begann in Mossul, jener nordirakischen Stadt, die im Sommer 2014 von Dschihadisten der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) überrannt wurde. „Die IS-Miliz hat die Zivilisation in unserer Stadt zerstört“, sagt er. Weil er eine Art Schutzgeld bezahlt habe, habe er nicht für die Organisation kämpfen müssen.
Als seine Mutter krank wurde und in ein Krankenhaus in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak eingeliefert werden musste, erlaubten die IS-Repräsentanten Jussif schließlich die Ausreise aus der Stadt. Von dem Kurdengebiet aus reiste er nach Bagdad, nahm einen Flug in die Türkei und flüchtete über das Meer nach Griechenland. „In Deutschland will ich endlich wieder studieren“, sagt er.
Etwa zwölf Kilometer vom Hafen entfernt, in der Innenstadt von Athen, haben überwiegend Afghanen in einem kleinen Park ihr Lager aufgeschlagen. Von hier aus fuhren einst Busse von Schleppern zur Grenze. „Oft verlangten die Unternehmen das Dreifache des normalen Preises“, sagt der Brite Jack, der freiwillig hilft und Wasser ausschenkt.
Afghanen haben es schwerer als Syrer oder Iraker, als Kriegsflüchtlinge anerkannt zu werden. Laut einer aktuellen, nicht repräsentativen UNHCR-Umfrage verlassen sich 77 Prozent von ihnen bei ihrer Reise nach Europa auf Schmuggler. Zum Vergleich: Bei den Syrern gaben das lediglich 14 Prozent der Befragten an – 60 Prozent hingegen bezogen demnach ihre Informationen von Mitreisenden, 28 Prozent rufen zudem andere Flüchtlinge an, die den Weg vor ihnen gegangen sind, 23 Prozent nutzten soziale Netzwerke.
Ein älterer Afghane läuft an einem Stock über den Victoria-Platz und lächelt Passanten freundlich zu. Begleitet wird er von zwei Kindern. Das etwa sechsjährige Mädchen hat anstelle von Zähnen nur noch braune Zahnstümpfe im Mund. Er spricht so gut wie kein Englisch und auch kein Arabisch. Gefragt, wie lange er hier wohl noch bleiben werde, zeigt er sich zuversichtlich. Er zeigt in die Richtung einer großen Straße und sagt: „Ein Bus wird bald kommen.“ (epd/mig) Feuilleton Leitartikel
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