Wechselspiele deutscher Flüchtlingspolitik
Vietnamesische Familie sucht nach Abschiebung und Rückkehr nach Normalität
Ihre Abschiebung sorgte 2011 bundesweit für Aufsehen. Niedersachsens damaliger Innenminister Schünemann musste schließlich einlenken und holte die Nguyens nach Deutschland zurück. Immer noch ist Hoya ihr Zuhause.
Von Martina Schwager Donnerstag, 31.03.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 06.04.2016, 17:40 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Tuong Nguyen ist glücklich – eigentlich. Nur zwei Wünsche konnte er sich bislang nicht erfüllen: einen deutschen Pass und ein eigenes Haus mit Garten. „Da würde ich Gemüse anbauen und Blumen“, sagt der 49-Jährige und lächelt schüchtern. Dann nimmt er wieder seine Gartenschere und schneidet Setzlinge.
Seit mehr als 20 Jahren ist er in der Baumschule Krebs in Hoya bei Bremen angestellt. Dass der vietnamesische Familienvater nach so langer Zeit in Deutschland seinen Traum noch nicht verwirklichen konnte, liegt nicht an ihm. Gebremst haben ihn die deutschen Asyl- und Aufenthaltsgesetze – und Niedersachsens früherer Innenminister Uwe Schünemann (CDU). „Sonst wäre er vielleicht schon weiter“, sagt sein Chef Jürgen Krebs.
Der Tiefpunkt für die Nguyens war ihre Abschiebung nach Vietnam vor viereinhalb Jahren. Die Nacht- und Nebelaktion der Sicherheitsbehörden unter Schünemann sorgte im November 2011 bundesweit für Aufsehen. „Das war schrecklich“, sagt Tuong Nguyen leise und blickt zu Boden. Er, seine Frau Sang und die damals sechs und neun Jahre alten Kinder André und Esther wurden in den Flieger nach Hanoi gesetzt. Von dort war das Ehepaar 19 Jahre zuvor geflohen. Die 19-jährige Tochter Ngoc Lan, die ein Aufenthaltsrecht besaß, blieb allein in Hoya zurück.
An Tuong Nguyens Geschichte lassen sich die Wechselspiele deutscher Flüchtlingspolitik ablesen. Erst seit 2015 haben langjährig geduldete Ausländer die Chance auf ein Aufenthaltsrecht, wenn sie gut integriert sind, sagt der Anwalt und Asylrechtsexperte Andreas Neuhoff. Die Behörden warfen dem Ehepaar Nguyen vor, bei der Einreise nicht ihren richtigen Namen angegeben zu haben. Ein Fehler, der zur Ablehnung des Asylantrags führte und der ihnen fast zwei Jahrzehnte immer wieder vorgehalten wurde. Sie wurden stets nur geduldet.
Dabei waren sie ein Musterbeispiel für gelungene Integration. „Tuong hat immer für sich und seine Familie gesorgt, nie Sozialhilfe bezogen“, sagt Baumschulen-Inhaber Jürgen Krebs. Die Kinder gingen damals in die Schule und hatten deutsche Freunde. Ngoc Lan hatte gerade Abitur gemacht.
Seit Jahren kämpfte ein Unterstützerkreis um Kirchenvorsteherin Renate Paul und Pastor Andreas Ruh für ein Aufenthaltsrecht der Familie. Mit einem Kirchenasyl hatten sie sie bereits einmal vor der drohenden Abschiebung bewahrt. Als die Freunde diesmal zu spät kamen, waren sie entsetzt: „Das war menschlich eine Vollkatastrophe“, bringt Juniorchef Dirk Krebs die Empörung von damals auf den Punkt.
Nachbarn, Arbeitskollegen, Lehrer, Schulkameraden, Kirchen, Flüchtlingsorganisationen, Politiker, Anwälte und nicht zuletzt Familie Krebs protestierten und machten den Fall öffentlich. Schünemann lenkte nach langem Hin und Her ein. Am 31. Januar 2012 fielen sich Ngoc Lan, ihre Eltern und Geschwister am Flughafen Hannover wieder in die Arme.
Wohnung, Arbeitsstelle, Kindergartenplatz, Schulklasse – alles war noch da. Und die Nguyens bekamen sogar eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis, die inzwischen um noch einmal drei Jahre verlängert wurde. Doch die Jahre der Unsicherheit sind nicht spurlos an ihnen vorüber gegangen. Tochter Esther war nach der Rückkehr lange weinerlich und in sich gekehrt, erzählt ihr Vater. „Kirchenasyl, Aufenthalt in Hanoi und Rückkehr haben viel Geld gekostet, auch wenn sie immer mit Spenden unterstützt wurden“, ergänzt Gartenbauer Krebs.
Doch es gibt noch ein weiteres Hindernis, dass der Erfüllung von Nguyens Traum vom Eigenheim im Wege steht. Wer in Deutschland ein Haus kaufen will, sollte möglichst einen deutschen Pass oder eine Niederlassungserlaubnis besitzen, erläutert Asylrechtsexperte Neuhoff. Sonst bekommt er von den Kreditinstituten kein Geld. Dass er noch nicht deutscher Staatsbürger ist, wurmt Tuong Nguyen.
Erst nach acht Jahren können Ausländer einen Antrag auf Einbürgerung stellen. Die lange Zeit der Duldung zählt für die Nguyens nicht. Außerdem wird eine Deutsch-Prüfung verlangt. Und die Sprache ist nach wie vor nicht Tuong Nguyens Stärke. Doch er hält eisern an seinen Plänen fest und übt. Glücklich ist er aber eigentlich auch so: „Wir haben jetzt keine Angst mehr.“ Und er ist dankbar für seinen Chef und die anderen Freunde: „Ohne sie hätten wir keine Chance gehabt.“ (epd/mig) Gesellschaft Leitartikel
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