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Magenverstimmung oder Notfall?

Mehr Einsätze für Rettungsdienste durch Flüchtlinge

Durch die hohen Flüchtlingszahlen sind Rettungsdienste über die Maßen belastet. Mittlerweile haben Behörden und Hilfsorganisationen reagiert. Eine Mischung aus Aufklärung und strukturellen Verbesserungen soll die Zahl der Einsätze reduzieren.

Von Nils Sandrisser Montag, 04.04.2016, 8:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 25.04.2016, 18:02 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Behrouz Asadi, Leiter Migration des Malteser Hilfsdienstes in Rheinland-Pfalz, hat ein Gerücht unter Flüchtlingen gehört, dass ihm und seinen Kollegen Sorge bereitet: Demnach sei es ganz normal, bei allen möglichen Beschwerden einen Rettungswagen (RTW) zu rufen. Als Folge müssen Rettungsdienste häufiger zu Einsätzen in Flüchtlingsunterkünften ausrücken.

„Wir haben hier schon ein gewisses Mehraufkommen“, stellt auch Björn Radünz fest, einer der Pressesprecher der Berliner Feuerwehr. Atemwegsinfektionen oder Bauchschmerzen nennt er als häufige Ursachen für eine Alarmierung. Oder es seien eskalierende Konflikte zwischen Bewohnern, die zu Verletzten führen. Allerdings seien nicht immer unbedingt die Flüchtlinge selbst für Einsätze verantwortlich, die sich als unnötig herausstellen. „Wir werden auch öfter von Betreuern oder Heimleitern gerufen“, sagt Radünz. Diese seien meist ohne medizinische Kenntnisse und könnten eine Magenverstimmung nicht von einem Notfall unterscheiden.

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Im Landkreis Göttingen, wo sich das Aufnahmelager Friedland befindet, stieg die Zahl der Rettungseinsätze im letzten Quartal 2015 so deutlich, dass Landrat Bernhard Reuter (SPD) einen weiteren RTW forderte. Das Land Niedersachsen bewilligte ein Fahrzeug, das aber nicht nur Flüchtlinge versorgen soll, sondern der allgemeinen Vorhaltung zugeschlagen wurde. Zunächst galt die Bewilligung nur bis zum 31. Januar, mittlerweile ist sie nach den Worten Ulrich Lottmanns, Pressesprecher des Landkreises, auf unbestimmte Zeit verlängert worden. Um den Rettungsdienst zu entlasten, kümmert sich in Friedland und dessen Außenstellen sanitätsdienstliches Personal um leichtere Fälle.

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In Gießen, wo die zentrale Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen steht, rückte der Rettungsdienst nach Angaben des Landkreises im zweiten Halbjahr 2015 fast 5.700 Mal aus, ein moderates Plus von mehr als fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die Johanniter-Unfall-Hilfe betreibt auf dem Gelände der Unterkunft eine Ambulanz, die wie eine Arztpraxis an Werktagen Sprechstunden anbietet.

„Die Ambulanz ist tagsüber mit einem Arzt, einer medizinischen Fachkraft, einem Rettungssanitäter sowie einem Dolmetscher besetzt“, erläutert Saskia Schimpf, Sprecherin der Johanniter. Üblicherweise kümmern sie sich um jene Fälle, die ein Hausarzt behandeln würde. Außerhalb der Sprechzeiten schieben zwei Einsatzkräfte der Johanniter Dienst in der Erstaufnahme.

Die Malteser in Rheinland-Pfalz klären Flüchtlinge darüber auf, wozu der Rettungsdienst da ist – und wozu nicht. Unter Umständen übernehmen sie die Kosten für ein Taxi, um Asylbewerber zu einem Arzt zu bringen. Und sie bauen lokale Versorgungsnetze auf, machen Kinder- und Allgemeinärzte ausfindig, die in Notunterkünften behandeln. Mitunter hilft schon ein Beratungsgespräch in der Apotheke um die Ecke. „Mittlerweile haben sich die Bestellungen von Einsatzfahrzeugen massiv reduziert“, sagt Koordinator Asadi.

Den großen Wurf sieht Asadi in der Einführung einer Gesundheitskarte, mit der Asylbewerber wie andere Menschen zum Arzt gehen könnten. „Die Möglichkeit, direkt zum Arzt zu gehen und nicht immer abhängig von Krankenscheinen oder Überweisungen zu sein, dient der Reduzierung der Rettungsdiensteinsätze“, ist er sich sicher. Der Berliner Feuerwehrsprecher Radünz plädiert ebenfalls für eine Gesundheitskarte: „Warum sollten wir den Rettungsdienst und die Krankenhäuser mit Fällen belasten, die niedergelassene Ärzte genauso behandeln könnten?“

Auch der Landkreis Göttingen prüft eine Gesundheitskarte. „Nach gegenwärtigem Stand wird ihre Einführung auf Grundlage einer Rahmenvereinbarung von Krankenkassen, Sozialministerium und kommunalen Spitzenverbänden demnächst auch umgesetzt“, sagt Pressesprecher Lottmann. Große Erwartungen setzt er in diese Maßnahme aber nicht: „Der einzige Vorteil der Gesundheitskarte ist, dass Flüchtlinge anonym behandelt werden können. Eine Verwaltungsvereinfachung ist damit nicht verbunden, die Einführung wird also keine spürbar positiven Auswirkungen auf den Rettungsdienst haben.“

Mittlerweile haben einige Bundesländer die Karte eingeführt: Berlin, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Die Berliner Feuerwehr hat jedoch keine Erkenntnisse darüber, ob diese Maßnahme die Einsatzzahlen gesenkt hat. Dafür sei es noch zu früh. (epd/mig) Aktuell Gesellschaft

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