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Sais Rezek © Privat, bearb. MiG

"Nicht noch ein Libanese"

Hausgemachte Integrationsdefizite

In Essen ereigneten sich am Wochenende eine Messerstecherei und eine Schießerei. Die Täter sind Einwanderer aus dem Libanon. Die Herkunft zu nennen ist in diesem Fall keine Frage der Diskriminierung, sondern der Erklärung. Von Said Rezek

Von Freitag, 15.04.2016, 8:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 17.04.2016, 22:58 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Meine Eltern sind 1986 aus dem Libanon nach Deutschland eingewandert. Im selben Jahr erblickte ich das Licht der Welt. Ich bin als blinder Passagier ins Flugzeug gestiegen. Im Bauch meiner Mutter. Sie war im vierten Monat schwanger. Mein Vater trug meinen zwei Jahre alten Bruder in seinen Armen.

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Im Libanon tobte seit 1976 der Bürgerkrieg. Wer konnte, brachte sich in Sicherheit. Andere taten es meinen Eltern gleich, zuvor und auch noch danach. Die Stimmung gegenüber Flüchtlingen, war in Deutschland zu jener Zeit weitestgehend ablehnend.

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„Nicht noch ein Libanese“

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Als Kind spürte ich jedoch nichts davon, was vielleicht auch daran lag, dass ich in einer kleinen Stadt namens Alsdorf aufgewachsen bin. Libanesen stellten dort eine verschwindend geringe Minderheit. In der Stadt Essen hingegen lebt die größte libanesischstämmige Community in NRW. Ihr eilt ein ziemlich mieser Ruf voraus.

Dies spürte ich mit 15 Jahren, an meinem ersten Schultag, in meiner neuen Heimatstadt. Meine Lehrerin fragte mich zunächst nicht etwa nach meinen Namen, sondern nach meiner Herkunft. Als ich Libanon sagte, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen: „Nicht noch ein Libanese“.

Aufstieg durch Bildung

Ich besuchte die 10B einer Hauptschule. In dieser Klasse war es möglich, die Fachoberschulreife mit Qualifikation zu erreichen, welche zum Besuch der gymnasialen Oberstufe berechtigt. Ich schaffte den Sprung aufs Gymnasium und absolvierte über den zweiten Bildungsweg die Fachhofschulreife. Aktuell studiere ich im Master Politikmanagement an der Universität Duisburg/Essen.

Ich erwähne diese Details um deutlich zu machen, dass es nicht nur libanesische Messerstecher oder Drogendealer gibt. Und ich bin längst nicht der Einzige mit libanesischem Migrationshintergrund, der solch einen Weg eingeschlagen hat. Es gibt viele weitere Positivbeispiele.

Vorurteile und wissenschaftliche Erkenntnisse

Gleichwohl will ich nicht die Augen vor den bestehenden Problemen verschließen. Statistiken belegen, dass libanesische Migranten in der Bundesrepublik überdurchschnittlich kriminell und unterdurchschnittlich gebildet sind. Zugegeben keine positive Kombination.

Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass Bildungsdefizite und Kriminalität primär ein Problem sozial schwacher Personengruppen sind, zu denen vor allem libanesischstämmige gehören. Das ist zwar kein Naturgesetz, es trifft jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit zu. Das ist das kleine Einmaleins der Sozialwissenschaften. Alle seriösen Studien belegen diese Ergebnisse. Angefangen bei IGLU bis hin zu PISA. Dennoch glauben viele Menschen, dass erfolgreiche Integration, eine Frage der Herkunft oder Religionszugehörigkeit ist.

Der Widerspruch zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen der Integrationsforschung und weit verbreiten Vorurteilen in der Bevölkerung, ist in Teilen meilenweit voneinander entfernt. Das ist wohl eine der wichtigsten Erkenntnisse meines Politikwissenschaftsstudiums.

Duldung als Integrationshindernis

Nun mag der eine oder andere entgegnen, dass auch andere Bevölkerungsgruppen von sozialen Problemen betroffen sind, jedoch längst nicht so kriminell, wie die Libanesen sind. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit, denn neben Sozialschichtzugehörigkeit sind libanesischstämmige, von einem weiteren Problem betroffen. Dem Staatsangehörigkeitsrecht.

Während meine Wenigkeit formal juristisch Deutscher ist, ist ein Aufenthaltstitel, geschweige denn die deutsche Staatsangehörigkeit, für Personen mit libanesischen Migrationshintergrund keine Selbstverständlichkeit. Das gilt insbesondere für eine Gruppe von libanesischstämmigen, besser bekannt unter dem Namen Mhalla­mi.

Zu dieser Gruppe zählen bundesweit mehrere 1000 Personen. Sie leben zum Teil in der dritten Generation in Deutschland und werden von den Städten und Kommunen, fast alle nur geduldet. Die Duldung ist nach der Definition des deutschen Aufenthaltsrechts eine „vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“ von ausreisepflichtigen Ausländern. Sie stellt keinen Aufenthaltstitel dar und begründet daher auch keinen rechtmäßigen Aufenthalt.

Städte und Kommunen unter Zugzwang

Dieser Status schränkt die Betroffenen, vor allem in ihren Bewegungs- und Arbeitsmöglichkeiten stark ein. Mhallamis dürfen das Bundesland in dem sie leben, ohne eine Sondererlaubnis mehrheitlich nicht verlassen. Ferner ist die Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses in vielen Fällen untersagt.

Man muss kein Integrationsexperte sein, um zu erkennen, dass diese Praxis einer erfolgreichen Integration im Wege steht. Natürlich sind diese widrigen Umstände keine Rechtfertigung für Kriminalität oder Bildungsdefizite, doch sie begünstigen und erklären diese. Mein Leben wäre sicher anders verlaufen, wenn ich mit solchen Hürden konfrontiert worden wäre.

Die Stadt Essen und andere Kommunen sollten die Duldung als Integrationshindernis unbedingt überdenken. Die bestehenden Integrationsdefizite können zwar nicht mit einem Schlag gelöst werden. Doch ein Aufenthaltstitel, mit einer sicheren Bleibeperspektive, schafft die Voraussetzungen für ein neues Kapitel. Es wäre vor allem ein Zeichen an die Mhalla­mi ein Teil Essens zu sein und zu bleiben. Aktuell Meinung

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