Atteste für Flüchtlinge
De Maizière: „Ja, ich hätte diesen Prozentsatz so nicht nennen sollen“
Bundesinnenminister de Maizière hält an seinem Vorwurf fest, Ärzte würden Flüchtlingen falsche Atteste ausstellen. Zurückgenommen hat er aber eine Zahl. Göring-Eckardt bezeichnete de Maizières Aussagen als "unverantwortlich". Der Innenminister spalte.
Freitag, 24.06.2016, 8:19 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 26.06.2016, 14:17 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Interviewäußerungen von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zur Praxis von Krankschreibungen bei Abschiebungen haben am Donnerstag zu einem heftigen Schlagabtausch im Bundestag geführt. Auf Antrag der Grünen wurde eine Aktuelle Stunde angesetzt, um zu klären, ob de Maizière absichtlich unseriöse Zahlen in die Welt gesetzt hat. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt warf dem Minister vor, Flüchtlinge mit seinen Aussagen zu stigmatisieren und forderte dessen Rücktritt. Der CDU-Politiker selbst nahm ausdrücklich eine viel kritisierte Passage aus dem Interview zurück – im Grundsatz blieb er aber bei seiner Kritik.
Es sei Tatsache, dass es Probleme beim Thema Abschiebungen bei Krankschreibungen gebe, betonte der Minister. Er hatte in der „Rheinischen Post“ kürzlich kritisiert, dass noch immer zu viele Atteste von Ärzten ausgestellt würden in Fällen, in denen es keine echten gesundheitlichen Abschiebehindernisse gebe. Weiter sagte er im Interview: „Es kann nicht sein, dass 70 Prozent der Männer unter 40 Jahren vor einer Abschiebung für krank und nicht transportfähig erklärt werden.“
Keine Statistik
Wie sich später herausstellte, entstammte diese Zahl keiner offiziellen Statistik. Das Ministerium erklärte, in internen Gesprächen mit Praktikern sei „spotlight-artig“ von bis zu 70 Prozent die Rede gewesen. Bei der Opposition und auch bei den Ärzten selbst stieß dies auf Empörung. Im Bundestag sagte de Maizière, er hätte die Zahl so nicht nennen dürfen. Mit Verweis auf einen Bericht einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe, der im April 2015 stichprobenartig ähnliche Prozentwerte in einzelnen Regionen auswies, bleib er aber dabei: „Derart hohe Zahlen über Krankenstände und Atteste widersprechen einfach jeder Lebenserfahrung.“
Göring-Eckardt bezeichnete de Maizières Aussagen als „unverantwortlich“. Sie warf dem Minister vor, in der ohnehin aufgeheizten gesellschaftlichen Stimmung weiter zu spalten. Die Grünen-Abgeordnete Luise Amtsberg sagte, de Maizière kritisiere bei den Ärzten ausgerechnet eine Berufsgruppe, die im vergangenen Jahr viel in der Flüchtlingshilfe geleistet habe. Jan Korte von der Linken erklärte, ein Fehler könne jedem passieren. Einem Bundesinnenminister dürfe aber genau dies in der jetzigen Situation nicht passieren.
Jetzt Rechtsanwälte im Visier von de Maizière
Auch vom Koalitionspartner SPD erhielt de Maizière keine Rückendeckung. Der Abgeordnete Lars Castellucci (SPD) sagte, es sei nicht ausreichend, zwar die eine Zahl, ansonsten inhaltlich aber nichts zurückzunehmen. Sebastian Hartmann (SPD) forderte einen ärztlichen Dienst beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, um die im Raum stehenden Zahlen zu prüfen.
Nur Unions-Abgeordnete verteidigten in der erhitzten und von vielen Zwischenrufen geprägten Debatten ihren Fraktionskollegen. Der Innenpolitiker Stephan Mayer (CSU) warf der Opposition „parteipolitischen Klamauk“ vor. Es würden nach wie vor „willfährige und leichtfertige Atteste“ ausgestellt, sagte er.
Auf neue Empörung stieß bei der Opposition außerdem die indirekte Schelte de Maizières für eine weitere Berufsgruppe. In seiner Rede sagte er, er verstehe, dass Menschen ohne Bleiberecht versuchten, eine drohende Abschiebung abzuwenden und ergänzte: „Ich verstehe nicht alle Rechtsanwälte, die daraus noch ein Geschäftsmodell machen.“ (epd/mig) Aktuell Politik
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