Neonazis immer gewaltbereiter
Fremdenfeindliche Gewalttaten erreichen Höchststand
Als Barometer für gesellschaftliche Entwicklungen bezeichnet Innenminister de Maizière den jährlichen Verfassungsschutzbericht. Der aktuelle zeigt, dass die rechtsextreme Szene wächst. Sie wird auch gewalttätiger. Opposition kritisiert Verfassungsschutz.
Mittwoch, 29.06.2016, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 30.06.2016, 16:24 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die Polarisierung in der Flüchtlingsdebatte beschert der rechtsextremen Szene in Deutschland nach Jahren des Rückgangs wieder Zulauf. Wie aus dem am Dienstag in Berlin vorgestellten Verfassungsschutzbericht hervorgeht, wurden rechtsextremistischen Organisationen und Parteien 2015 insgesamt 22.600 Sympathisanten zugerechnet, 1.600 mehr als im Jahr zuvor. Hetze und Gewalt gegen Asylbewerber habe sich zum beherrschenden Thema der Szene entwickelt, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) bei der Vorstellung des Berichts. Fremdenfeindliche Agitation erreiche die Mitte der Gesellschaft. Besondere Sorge macht ihm der Anstieg der Gewalttaten.
Dem Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz für 2015 zufolge gilt inzwischen mehr als jeder zweite Rechtsextremist als gewaltbereit (insgesamt 11.800). Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten stieg im vergangenen Jahr auf 1.408 (2014: 990). Die Zahl fremdenfeindlicher Gewalttaten (918) erreichte im vergangenen Jahr einen Höchststand. 2015 wurden zudem acht versuchte Tötungsdelikte gezählt (2014: eins). Laufende Ermittlungsverfahren zeigten zudem, dass die Gefahr der Entstehung neuer rechtsterroristischer Strukturen wachse, warnte de Maizière.
Anti-Asyl-Agitation
Der Verfassungsschutz macht zwei Entwicklungen für das Wiedererstarken der rechten Szene verantwortlich: eine mit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen einhergehende „Anti-Asyl-Agitation“ und die Hetze im Internet. Der Zulauf zeigte sich auch bei rechtsextremen Demonstrationen: Mehr als 95.000 Menschen nahmen 2015 an Aufläufen teil und damit fast fünfmal so viele wie 2014 (rund 20.600). Bei 80 Prozent der Demonstrationen ging es um die Themen Asyl und Zuwanderung.
Auch die AfD trat als Veranstalter asylkritischer Veranstaltungen auf. Während im Verfassungsschutzbericht die Demonstrationen der „Pegida“-Bewegung erwähnt werden, finden sich aber keine Verweise auf die AfD. Die rechtspopulistische Partei ist nicht Beobachtungsgegenstand der Verfassungsschützer – und das soll so bleiben. De Maizière sagte, sie sei „im Ganzen“ keine extremistische Partei. Allerdings sei sie eine rechtspopulistische Partei, „die aufpassen muss, dass sie nicht zum Anziehungspunkt für rechtsextremistische Positionen wird“, erklärte der Minister.
Keine Beobachtung der AfD
Innenpolitiker von SPD und Grünen forderten in den Zeitungen der Funke Mediengruppe, die AfD künftig unter die Lupe zu nehmen. Es sei an der Zeit, Teile zu beobachten, sagte Burkhard Lischka (SPD). Irene Mihalic (Grüne) sagte, es sei ein „gravierendes Defizit“, dass der Verfassungsschutz die Partei nicht beobachte.
Deutlicher wird Innenpolitikerin Ulla Jelpke (Linke): „Wenn sich die Zahl rechtsextremer Gewalttaten nahezu verdoppelt, müssten eigentlich bei allen Demokraten die Alarmglocken schrillen.“ Der Kampf gegen Nazis müsse wieder oberste Priorität erhalten. Von ihnen gehe „eindeutig die größte Gefahr im Inland“ aus. Es sei nach allem Anschein nur eine Frage der Zeit, bis Nazis in Deutschland wieder Menschen töten. „Die Politik muss hier entschlossen gegensteuern“, so die Linkspolitikerin.
Der Verfassungsschutz sei hierfür aber nicht die richtige Instanz, schon gar nicht, wenn es darum gehe, den Extremismus in der Mitte der Gesellschaft zu bekämpfen. „Ich nenne nur die AfD, die nicht beobachtet wird, die aber durch ihre Hetze gegen Flüchtlinge und Muslime ein Klima schafft, in dem rechte Gewalttaten gedeihen“, erklärte Jelpke. Man könne Nazis nicht bekämpfen, wenn man vor den „Hetzern à la AfD und Pegida“ die Augen verschließe.
Linke Gewalt mehrheitlich gegen Polizei
Die Straftaten Linksextremer bewegten sich 2015 erneut auf wesentlich niedrigerem Niveau als die Rechtsextremer. Gezählt wurden insgesamt 5.620 Delikte (rechtsextrem motiviert: 21.933). Allerdings ist auch in diesem Bereich die Zahl der Gewalttaten sprunghaft von 995 im Jahr 2014 auf 1.608 im vergangenen Jahr gestiegen. Die Mehrzahl davon richtete sich gegen Polizei und Sicherheitsbehörden. Das sogenannte Personenpotenzial der linken Szene ging leicht auf 26.700 zurück, 7.700 Sympathisanten gelten als gewaltbereit.
Im Bereich des sogenanten „Islamismus“ steigt dem Bericht zufolge die Zahl der Ausreisen von kampfbereiten Anhängern der Terrororganisation IS nach Syrien und in den Irak nicht mehr so stark an wie früher. Gleichzeitig ist die Zahl von Salafisten in Deutschland aber weiter um 18 Prozent auf rund 8.350 gewachsen. Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen sprach von einer weiter „ernsten Bedrohungslage“ für Deutschland. (epd/mig) Aktuell Gesellschaft
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