Flüchtende aus Afrika
Die Lebensgefahr beginnt nicht erst auf dem Mittelmeer
Schlepper lassen sie verdursten, Kriminellen und Milizen sind die Flüchtlinge schutzlos ausgeliefert auf ihrer Route von Westafrika an die nordafrikanische Küste. Gescheiterte Rückkehrer berichten gebrochen von Misshandlungen und Geiselhaft.
Von Bettina Rühl Mittwoch, 27.07.2016, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 28.07.2016, 17:19 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die Müdigkeit ist Ibrahim Asso anzusehen. Der 17-Jährige aus Guinea ist seit Wochen unterwegs, hat in dieser Zeit viel zu wenig getrunken und gegessen. Zusammen mit drei Freunden wollte er nach Europa. „Ich träumte davon, in Frankreich zur Schule zu gehen und dann zu studieren.“ Der 16-jährige Mamadou Bâ wollte nach Deutschland, „weil da viele meiner Freunde sind“. In der algerischen Wüste drehten die vier Jugendlichen um, sie waren pleite und am Ende ihrer Kraft.
„Wir wurden immer wieder von Kriminellen und Milizionären aufgehalten“, erzählt Ibrahim. „Sie alle haben uns misshandelt, sie haben uns geschlagen wie die Hunde – wir fühlten uns schließlich, als hätten wir nichts Menschliches mehr.“ Mit sehr viel Glück, und weil ein Lkw-Fahrer sie unentgeltlich ein großes Stück mitnahm, schafften es die vier zurück bis nach Gao, die größte Stadt im Norden von Mali in Westafrika. Dort wies ihnen jemand den Weg zum „Haus der Migranten“, das von der katholischen Pfarrei in Gao betrieben und von der deutschen Caritas unterstützt wird.
„Viele der Flüchtlinge kommen hier derart entkräftet an, dass sie sich kaum auf den Beinen halten können“, sagt Mitarbeiter Eric Alain Kamdem. Gao ist ein Knotenpunkt für Auswanderungswillige in Westafrika, das „Haus der Migranten“ eine Anlaufstelle für Menschen, die nach Europa wollen oder nach ihrem Scheitern auf dem Rückweg sind. Sie bekommen hier Wasser, Essen und eine Unterkunft. Wer krank ist, wird auf Kosten der Pfarrei behandelt. Vor allem aber kriegen die Reisenden Zuspruch, Rat und Hilfe bei den Formalitäten, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren wollen.
In den vergangenen vier Monaten habe das Zentrum gut 200 Menschen betreut, sagt Kamdem. Die meisten von ihnen seien auf dem Rückweg. „Auf dem Hinweg meiden sie uns, oder ihre Fluchthelfer halten sie in Massenunterkünften fest, in denen sie die Menschen auch immer öfter misshandeln.“ Im vergangenen Jahr seien rund 2.000 Migranten durch Gao gekommen. Die Zahlen erheben die Mitarbeiter des Hauses bei den Schleppern in der Stadt.
Kamdem arbeitet seit dessen Gründung in dem Zentrum. Was die Migranten an Misshandlungen erlitten, sei in diesem Zeitraum immer brutaler geworden. Einen wichtigen Grund dafür sieht Kamdem in der steigenden Zahl bewaffneter Konflikte in der Region. Viele Milizen beteiligten sich an dem Geschäft mit der Migration.
Kamdem hört immer öfter von den gescheiterten Rückkehrern, dass Durchreisende etwa von islamistischen Gruppen im Norden Malis gekidnappt und in Geiselhaft genommen werden. Die Milizionäre quälen ihre Opfer und zwingen sie, ihre Familien anzurufen. Denen drohen sie am Telefon: „Wenn Du nicht soundso viel Geld zahlst, bringen wir Deinen Angehörigen um.“
Selbst wer nicht in die Hände solcher Banden gerät, wird von den Schleppern ausgebeutet. Flüchtlinge werden misshandelt oder gar fahrlässig zu Tode gebracht. Auch Ibrahim Asso und seine Freunde wurden zwischenzeitlich in der Wüste ausgesetzt, erreichten aber aus eigener Kraft die nächste Siedlung. „Sie ließen uns ohne etwas zu trinken zurück. So ein Verhalten ist unmenschlich.“
Nur hin und wieder macht das Sterben auf dem Weg nach Norden international Schlagzeilen, zum Beispiel Mitte Juni 2016. Im Norden Nigers waren die Leichen von 34 Migranten gefunden worden, darunter die sterblichen Überreste von 20 Kindern. Nach Angaben des nigrischen Innenministers waren die Menschen von Schleppern in der Wüste ausgesetzt worden.
Ibrahim und seine Freunde wollen nur noch nach Hause. Um die Grenze legal passieren zu können, brauchen sie ein provisorisches Reisedokument, das Kamdem und seine Mitarbeiter für sie bei den Behörden besorgen. Ibrahim ist froh, überlebt zu haben. Trotzdem ist er deprimiert. „Ich habe keine Hoffnung mehr“, sagt der 17-Jährige. „Meine Eltern sind schon lange tot, in Guinea kann niemand so gut für mich sorgen, dass ich in die Schule gehen könnte.“ Seine Zukunftspläne reichen deshalb nicht weiter als bis zur Abfahrt des nächsten Busses nach Hause. (epd/mig) Aktuell Ausland
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