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Umgang mit Flüchtlingen

„Egal wer du bist und wo du herkommst, Australien wird nicht dein Zuhause werden.“

Wer illegal Australien betritt, darf unter keinen Umständen dort bleiben. Dafür tut die australische Regierung viel: sie verstößt gegen die Flüchtlingskonvention und gegen Menschenrechte. Flüchtende müssen viel Leid ertragen. Von Lea Wagner

Von Mittwoch, 03.08.2016, 18:40 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 04.08.2016, 18:37 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

Australien war ursprünglich eine Einwandererinsel. Dennoch betreibt das Land seit vielen Jahren eine rigorose Migrationspolitik, ganz gleich, welche Partei gerade an der Macht ist. Flüchtlingsboote werden vom australischen Militär auf dem Meer abgefangen und zur Rückkehr gezwungen. Die Insassen von Booten, die nicht gestoppt werden können, werden in Internierungsanstalten auf Pazifikinseln gebracht – die Rede ist von der „Pazifik-Lösung“. Ein Internierungslager ist auf der australischen Weihnachtsinsel, zwei weitere befinden sich im Ausland: eines in Papua-Neuguinea und eines auf Nauru, einer nordöstlich von Australien gelegenen, zu Mikronesien gehörenden Insel.

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Australien nennt sein Vorgehen „Operation Souveräne Grenzen“. Ziel ist offiziell, Schleusern das Handwerk zu legen und damit vordergründig Leben zu retten. Peter Dutton, der amtierende australische Minister für Einwanderung und Grenzschutz, hat gesagt: „Wer illegal unser Land betritt, wird nicht bei uns leben dürfen.“ Plakate der Regierung beweisen, dass er es ernst meint: Darauf zu sehen ist ein sich bei starken Wellengang gefährlich zur Seite neigendes Schiff. „No way“ steht in großen roten Lettern darauf. Weiter unten heißt es: „Egal wer du bist und wo du herkommst, Australien wird nicht dein Zuhause werden.“

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Australien führt seine Asylverfahren auf den Inseln durch. Selbst die positiv beschiedenen Fälle – und das sind viele, schließlich kommen viele Flüchtlinge aus Afghanistan und Irak – dürfen nicht nach Australien einreisen. Sie bleiben auf den Inseln oder werden nach Kambodscha umgesiedelt. Wer abgelehnt wird, muss in sein Heimatland zurückkehren. Auch wenn ihm dort Folter und Lebensgefahr drohen.

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Dabei lehnt Australien Einwanderung nicht per se ab: Regelmäßig nimmt es an humanitären Resettlement-Programmen teil. Jedes Jahr liegen die Zahlen im fünfstelligen Bereich. 2015 versprach Australien, zusätzlich 12.000 Geflüchteten aus Syrien und Irak Schutz zu gewähren. Angesichts des gewaltigen Ausmaßes der aktuellen Flüchtlingskrise mag diese Zahl klein erscheinen – dennoch ist sie deutlich höher als in vielen EU-Ländern. Aber bei über das Meer kommenden Flüchtlingen ist es mit der australischen Barmherzigkeit vorbei. Flüchtlingskommissar Antonio Guterres kommentierte die paradoxe australische Einwanderungspolitik wie folgt: „Es ist ok, solang du anders als mit dem Boot einreist. Wenn du mit dem Boot ankommst, ist es so, als passiere etwas mit dem Gehirn der Australier.“

Insgesamt 53 australische Rechtsgelehrte bezeichneten das Vorgehen der Regierung, Asylbewerber nach Sri Lanka zurückzuschicken, als einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und die Allgemeine Menschenrechtserklärung. Die UN kamen letztes Jahr zu dem Schluss, dass Australien durch die Internierung von Flüchtlingen auf der zu Papua-Neuguinea gehörenden Insel Manus gegen die UN-Antifolterkonvention verstoße. Das höchste Gericht von Papua-Neuguinea befand im April dieses Jahres, dass die Bedingungen im Internierungslager Manus gegen Menschenrechte verstießen und dass die australische Regierung das Lager demnach schließen müsse. Dem hat sie bislang nicht Folge geleistet. Ein australischer Regierungsbeamter sei soeben von Papua-Neuguinea einbestellt worden, um über die Zukunft des Lagers zu sprechen, schreibt der öffentlich-rechtliche australische Sender ABC auf seiner Website. Die australische Regierung habe verlauten lassen, sie sei sich der Angelegenheit bewusst, am weiteren Vorgehen jedoch nicht direkt beteiligt.

Die Vorwürfe beschränken sich nicht auf Manus. Auch aus dem mikronesischen Nauru dringen immer wieder Schreckensmeldungen an die Öffentlichkeit. In einem UN-Bericht ist die Rede von sexuellen Übergriffen auf asylsuchende Frauen und Mädchen.

Zwei Asylsuchende haben sich dieses Jahr auf Nauru angezündet, ein 23-jähriger Iraner starb dabei, das zweite Opfer, eine 21-jährige Somalierin, trug schwerste Verletzungen davon: 86 % ihrer Körperoberfläche sind verbrannt. 2013 hatten Insassen auf Nauru bereits revoltiert. Bei Aufständen wurde ein Großteil der Gebäude niedergebrannt. Mehrere australische Senatsabgeordnete, angeführt von der Grünen-Politikerin Sarah Hanson-Young, forderten 2015 die australische Regierung auf, das Lager zu schließen.

Im Lager tätigen Mitarbeitern – die meisten sind bei Subunternehmen angestellt – ist es strengstens untersagt, mit Medienvertretern zu sprechen, und zwar sowohl nach australischem als auch nach naurischem Recht. Letzteres sieht in diesem Fall bis zu sieben Jahre Gefängnis vor. Fünf naurische Parlamentsabgeordnete wurden ihres Amtes enthoben, nachdem sie mit Journalisten gesprochen hatten, berichtet Amnesty.

Der Insel ist an der Zusammenarbeit mit Australien sehr gelegen. Dem Amnesty-Bericht zufolge hat Australien allein in einem Jahr 415 Millionen australische Dollar an Nauru überwiesen – das sind 350.000 australische Dollar pro Geflüchteter/m.

Trotz des hohen Risikos hat eine Gruppe auf Nauru tätiger Gesundheitsfachkräfte einen offenen Brief geschrieben, in dem sie auf die Missstände aufmerksam macht: „Wir werden uns weiterhin für die Gesundheit der uns Schutzbefohlenen einsetzen, auch wenn wir damit eine Gefängnisstrafe riskieren. Es ist ethisch nicht vertretbar, Stillschweigen zu bewahren bei unterdurchschnittlicher, schädlicher Pflege, Kindesmissbrauch und groben Verstößen gegen Menschenrechte.“

Asylsuchenden auf Nauru ist es untersagt, Handys mit ins Internierungslager zu nehmen, und Facebook ist auf der Insel gesperrt. Nur ganz wenige Journalisten hatten bislang die Möglichkeit, das Lager zu besichtigen. Anfang 2014 seien die Visumgebühren für Journalisten von 200 auf 8.000 australische Dollar erhöht worden, berichtet Amnesty. Journalisten, deren Antrag abgelehnt werde, bekämen ihr Geld nicht zurück.

Zwei Mitarbeitern von Amnesty und Human Rights Watch ist es nun – unter Verschweigen ihrer Arbeitgeber – gelungen, zwölf Tage im Camp zu verbringen und mit 84 Asylsuchenden und Flüchtlingen zu sprechen, 29 davon waren Frauen und neun Kinder. Zusätzlich haben sie Dutzende Mitarbeiter interviewt. Die Ergebnisse sind höchst besorgniserregend. Beide Organisationen kommen zu dem Schluss, Australiens Versagen, gegen Missbrauch auf Nauru vorzugehen, sei Kalkül: Damit wolle Australien Schutzsuchende davon abhalten, sich auf die Reise nach Australien zu begeben.

Anna Neistat, die Amnesty-Mitarbeiterin, die vor Ort war, zieht das Fazit: „Nur wenige andere Länder gehen soweit, dass sie Schutzbedürftigen absichtlich Leid zufügen.“

Sie und ihr Kollege schreiben, im Reception-Center herrschten Temperaturen von 40 bis 50 Grad Celsius, Schimmel habe sich ausgebreitet, und die Toiletten seien derart verdreckt, dass sich sogar das Reinigungspersonal weigere, sie zu säubern. Die Einfuhr von Lebensmitteln sei Flüchtlingen untersagt. Nur die Ausgangssperre sei letztes Jahr gelockert worden: Den Insassen sei es nun gestattet, das Lager tagsüber zu verlassen. Immer weniger Flüchtlinge trauten sich jedoch aus dem Lager heraus, heißt es weiter. Regelmäßig komme es zu Übergriffen seitens der lokalen Bevölkerung. Betroffene berichten darüber, mit Steinen und Flaschen beworfen und bespuckt zu werden. 85% aller Flüchtlingskinder im schulpflichtigen Alter gingen nicht länger zur Schule, da sie dort von einheimischen Kindern gemobbt würden. Frauen berichteten häufig von sexuellen Übergriffen auf sie wie auf ihre Kinder außerhalb des Lagers. Die örtliche Polizei geht Amnesty und Human Rights Watch zufolge den wenigsten Straftaten nach.

Auch die medizinische Versorgung wird als katastrophal beschrieben. Dem örtlichen Krankenhaus fehle es an Grundlegendem wie Verbänden und sterilen Handschuhen, heißt es. Spezialisten seien so gut wie keine vor Ort. Eine an Genitalverstümmelung leidende Frau berichtet über Monate anhaltende heftige Schmerzen, die auf Nauru nicht hätten therapiert werden können. Ein an Diabetes erkrankter Mann soll fast dreißig Kilo abgenommen haben – das sei normal, habe ihm der Arzt gesagt. Ein Mann habe seine in den Wehen liegende Ehefrau unter einem Krankenhausbett gefunden: Das Bett hatte keine Matratze.

Wer nach langen Monaten des Wartens für eine medizinische Behandlung auf das Festland ausgeflogen werde, dürfe seit kurzem nur noch allein reisen, heißt es im Bericht. Anderenfalls sei das Risiko zu groß, dass die Betroffenen nicht mehr nach Nauru zurückkehrten. Anwälte konnten in einigen Fällen eine Aussetzung der Rückführung nach Nauru durchsetzen. Mehr solcher Fälle verhindere man dadurch, dass die Familienangehörigen auf Nauru verblieben, schreiben die beiden Menschenrechtsorganisationen. Für den Rücktransport lege man Patienten oft Handschellen an, berichtet ein Betroffener.

International Heath and Medical Services, dem mit der medizinischen Versorgung auf der Insel betrauten Dienstleister, wird vorgeworfen, großzügigen, oftmals nicht indizierten Gebrauch von Beruhigungsmitteln zu machen. Der Anbieter ficht die Vorwürfe an, wie die New York Times berichtet. Auch die australische Regierung hat sich in einem Statement von einem Großteil der monierten Punkte distanziert. Auf eine Anfrage von AP, welche Vorwürfe haltlos seien, habe sie nicht geantwortet, schreibt die Deutsche Welle.

Knapp 1.200 Schutzsuchende sollen sich aktuell auf Nauru aufhalten, 915 davon sind Amnesty und Human Rights Watch zufolge anerkannte Flüchtlinge. Letztere dürfen das Reception Center, eine aus Zelten bestehende Unterkunft für Asylsuchende, verlassen und bekommen Häuser in der Gemeinde zugeteilt. Viele warten jedoch wochenlang auf ihre Verlegung, heißt es im Bericht.

Einige Personen leben bereits seit drei Jahren auf der Insel. Die Aufenthaltserlaubnis, die bei Anerkennung als Flüchtling gewährt wird, hat nur fünf Jahre bestand. Für viele Betroffene ist die Perspektivlosigkeit mindestens so belastend wie die verheerenden Bedingungen im Camp. Eine Frau sagt: „Wir haben hier kein richtiges Leben. Wir überleben lediglich, so wie tote Seelen in lebendigen Körpern. Uns fehlt jegliche Hoffnung oder Motivation.“

Viele der von Amnesty und Human Rights Watch Befragten äußern Selbstmordabsichten, darunter sogar Kinder und Jugendliche. Eine 15-Jährige, die bereits zwei Selbstmordversuche hinter sich hat, sagt: „Ich bin meines Lebens überdrüssig.“ Weiter zitiert der Bericht einen Mann, der mit monotoner Stimme gesagt habe: „Das Öl steht bereit.“ Öl um sich anzuzünden.

Interviewt wurde auch ein iranischer Flüchtling, der einen drastischen Vergleich zieht: „Wenn Menschen von einer real existierenden Hölle sprechen, dann ist es dieser Ort hier, Nauru. Ein weiterer Holocaust findet statt in unserer Welt – hier in Nauru.“

Als die Toten im Mittelmeer immer mehr zunahmen, empfahl die australische Regierung der EU, sich am australischen Modell zu orientieren. Schließlich rette man damit Leben. Bei Bedarf gebe Australien gerne Tipps. Österreich hat sich bereits interessiert gezeigt. Außenminister Sebastian Kurz twitterte jüngst: „Australien hat geschafft Menschen zwar zu retten, aber Rettung nicht mit Eintrittsticket ins Land zu verbinden. Davon können wir lernen.“ Aktuell Ausland

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