Rezension zum Wochenende
Wenn Juden auf Muslime treffen
„Ein Jude in Neukölln“, heißt das Buch. Das klingt wie: ein Schaf unter Wölfen. Armin Langer ist der Jude, um den es geht. Er ist alles andere als ein Schaf, das der Herde blind folgt. Und für ihn, den Juden, klingt der Titel wahrscheinlich eher wie eine Liebeserklärung an seine Wahlheimat und deren Bewohnern, als eine Bedrohung. Eine Rezension von Said Rezek
Von Said Rezek Freitag, 16.12.2016, 8:19 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 18.12.2016, 19:29 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Ármin Langer wurde 1990 in München als Sohn ungarischer Migranten geboren. Er wuchs in Wien und Sopron (Westungarn) auf. Mit 16 erfuhr er beiläufig im Gespräch mit dem Vater von seinem jüdischen Hintergrund. Seine Eltern waren derart assimiliert, dass die Religion keine Rolle spielte, nicht unüblich unter osteuropäischen Juden. Seinem Urgroßvater wurde sein Glauben noch zum Verhängnis. Er wurde in Auschwitz vergast.
Drei Generationen später prangert der heute 26-jährige Armin Langer das Verhältnis seiner Glaubensgeschwister zur Shoa, dem gegenwärtigen Antisemitismus oder die uneingeschränkte Loyalität zum Staate Israel an. Es dürfe nicht sein, dass die jüdische Identität durch solche negativen Faktoren geprägt werde. Ein zentrales identitätsstiftendes Merkmal kommt dabei aus Langers Sicht zu kurz: die Lehre des jüdischen Glaubens.
Salam-Shalom vs. No-go-Areas
Um die Inhalte seiner Religion besser zu verstehen, begab sich Langer 2013 von Budapest über Jerusalem nach Berlin, um am renommierten Abraham Geiger Kolleg ein Rabbinerstudium zu beginnen. Er versank jedoch nicht in den unendlichen Tiefen der theologischen Schriften, sondern widmete sich aus seinem persönlichen Religionsverständnis heraus dem gesellschaftlichen Engagement, insbesondere dem Kampf gegen Rassismen – egal, gegen wen sie sich richten.
Noch im selben Jahr gründete er mit Mitstreitern die Salam-Shalom Initiative, um den interreligiösen Dialog zwischen Juden und Muslimen zu stärken. Langer leugnet mit keiner Silbe den existierenden Antisemitismus unter Muslimen, ebenso wenig islamophobe Einstellungen unter Juden. Er wehrt sich jedoch dagegen, bestimmte Berliner Bezirke, aufgrund ihres hohen Anteils von Personen mit islamischer Religionszugehörigkeit als „No-go-Areas“ für Juden zu bezeichnen. Dies behauptete bspw. Daniel Alter, Antisemitismus-Beauftragter der Jüdischen Gemeinde Berlin.
Juden gehören zum Mainstream
Laut Langer gehören Juden nach Jahrhunderten der Unterdrückung längst zum Mainstream Europas, insbesondere in Deutschland. Daraus resultiere vor allem für deutsche Juden eine Verantwortung, sich gegen Diskriminierung anderer Minderheiten hierzulande einzusetzen. Das Engagement gegen die Benachteiligung, der in Deutschland lebenden Muslime, stellt für Langer eine Herzensangelegenheit dar. Er untermauert sein Engagement mit diversen Studien und Statistiken.
Wer meint, er hätte es bei der Lektüre mit abstrakten Thesen a la Sarrazin zu tun wird bereits nach wenigen Seiten, eines Besseren belehrt. Langer berichtet von Gesprächen und Begegnungen mit Muslimen unterschiedlicher Herkunft, in Moscheen und Cafés der Hauptstadt. Der Charme, mit dem der Autor, die Konversationen beschreibt, ist ehrlich. Er bedient sich arabischer Floskeln und Füllwörter mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks.
Muslime sind die neuen Juden
Unweigerlich komisch ist der Austausch mit einem türkischstämmigen Muslim namens Ozan, seinerseits Rassismusforscher. Letzterer nennt Langer, Akhi, was auf Arabisch so viel bedeutet wie Bruder. Ungeachtet seiner Sympathie kritisiert er den Meinungsbeitrag des angehenden Rabbiners „Muslime sind die neuen Juden“, welcher im September 2014 im Tagesspiegel veröffentlicht wurde. Ozan findet diesen Titel undifferenziert. Aus seiner Sicht sind höchstens 80 Prozent der Inhalte des Artikels zutreffend. Langer fragt scherzhaft nach: „Warum nicht 90?“ Letztlich verständigten sich die beiden auf 85 Prozent.
Der humor- und respektvolle Umgang, den Langer an den Tag legt, spricht für ihn. Sein Artikel im Tagesspiegel hatte in den Tagen und Wochen nach der Veröffentlichung hohe Wellen geschlagen. Verantwortliche des Geiger-Kollegs legten ihm daraufhin zum wiederholten Male nahe, sich mit kontroversen Meinungsäußerungen zurückzuhalten. Dazu zählt auch der interreligiöse Dialog zwischen Juden und Muslimen, zu dem der Aktivist unermüdlich aufruft.
Langer gegen das jüdische Establishment
Wenn das Wort alternativlos seine Berechtigung hat, dann für Langer, der wohl nicht im Traum daran gedacht hat, sich zurückzuhalten. Selbst dann nicht, wenn er von seinen Glaubensgeschwistern, als einen sich selbst hassenden Juden bezeichnet wird. Selbstbewusst entgegnet er den Kritikern, dass bedeutende jüdische Intellektuelle wie Hannah Arendt einst selbst mit solchen Vorwürfen konfrontiert wurden.
Langer machte sich im jüdischen Establishment, darunter im Zentralrat der Juden, keine Freunde. Das Verhältnis zwischen dem Vorsitzenden Schuster und dem angehenden Rabbiner Langer, gipfelte in Rassismusvorwürfen. Schuster hatte in einem Zeitungsinterview behauptet: „Viele der Flüchtlinge fliehen vor dem Terror des ‚Islamischen Staates‘ und wollen in Frieden und Freiheit leben, gleichzeitig aber entstammen sie Kulturen, in denen der Hass auf Juden und die Intoleranz ein fester Bestandteil sind.“ Langer schlug dem Zentralrat der Juden daraufhin eine Namensänderung vor, und zwar in: „Zentralrat der rassistischen Juden.“
Langers Wortwahl löste bundesweite Empörung aus und machte vor den Wänden des Geiger-Kollegs nicht halt. Er entschuldigte sich zwar für die Tonart, blieb jedoch inhaltlich bei seiner Kritik. Antisemitismus mit der Ethnie der Flüchtlinge zu verbinden, ist aus seiner Sicht schlicht rassistisch, vielmehr handele es sich bei Antisemitismus um ein gesamtgesellschaftliches Problem. Kurze Zeit später verlor Langer seinen Studienplatz, mit der Begründung, dass er dem Ansehen der gesamten jüdischen Gemeinschaft im Land geschadet habe.
Armin, der Kämpfer
Armin Langer wäre jedoch nicht Armin Langer, wenn er nicht weiterkämpfen würde. Sein Vorname Ármin stammt aus der gleichen Wurzel wie das Wort Armee und bedeutet Kämpfer. Auf einem seiner Schachtfelder wird er sich weiter darum bemühen, Rabbiner zu werden. Mehrere ausländische Universitäten haben bereits Interesse am engagierten Neukölner signalisiert. Nach dem Lesen dieses Buches kann man nicht anders, als Langer viel Erfolg bei der Fortsetzung seiner Ausbildung zu wünschen. Andererseits wäre es ein großer Verlust, wenn er Deutschland verlassen würde.
Eins ist jedoch sicher. Er wird kein üblicher jüdischer Gelehrter. Er will ein alternatives Vorbild sein. Das ist er nicht zuletzt aufgrund seiner Homosexualität, aus der er kein Geheimnis macht. Armin Langer ist einer jener Menschen, die sich nur schwer in eine Schublade einordnen lassen.
Er scheut keine heiklen Themen und erst recht keine Konflikte. Das Wort Jisrael bedeutet, derjenige, der mit Gott kämpft und überlebt. Judentum bedeutet für Armin Langer einen ewigen Kampf. Unabhängig davon, wo Langer studieren wird, ist davon auszugehen, dass er sich weiter gegen jede Art von Diskriminierung und für ein besseres Miteinander der Religion einsetzen wird. Wer diese Ziele und Ideale teilt, für den ist dieses Buch Inspiration und Motivation zugleich, es Armin Langer gleichzutun. Aktuell Rezension
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