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Experten zum NPD-Urteil

Rechtsextremisten jetzt noch gefährlicher

Nach dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren warnen Rechtsextremismus-Experten vor einer stärkeren NPD. Die Rechtsextremen würden nach diesem Urteil mit voller Kraft einsteigen. Jetzt sei die Zivilgesellschaft gefordert.

Von Matthias Klein, Holger Spierig, Michaela Hütig Mittwoch, 18.01.2017, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 18.01.2017, 17:03 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, die NPD nicht zu verbieten, erwartet der Rechtsextremismus-Experte Toralf Staud eine inhaltliche Veränderung der Partei. „Ich rechne mit einer Re-Radikalisierung der NPD“, sagte Staud dem Evangelischen Pressedienst am Dienstag in Berlin. „Zuletzt ist die Partei sozusagen mit angezogener Handbremse gefahren.“

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In den vergangenen fünf Jahren habe die NPD auf eine moderatere Strategie gesetzt, erläuterte Staud. Umgesetzt habe dies anfangs Holger Apfel, der 2011 zum Bundesvorsitzenden gewählt worden war. Der jetzige Vorsitzende Frank Franz habe diesen Kurs fortgesetzt, auch um möglichst wenig Anlass für ein Verbot zu bieten. „Größere Teile der Basis hat das verärgert. Gerade jüngere Aktivisten aus der militanten Kameradschaftsszene haben sich abgewendet.“ Er prognostiziere, dass über die künftige Ausrichtung nun ein Richtungsstreit ausbreche, fügte Staud hinzu: „Die Extremsten in der Partei werden sich zu Wort melden. Ich erwarte, dass die radikalen Kräfte ein Comeback versuchen.“

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Das Bundesverfassungsgericht hatte am Dienstag ein Verbot der NPD abgelehnt. Der Präsident des höchsten deutschen Gerichts, Andreas Voßkuhle, begründete das Scheitern des Verbotsantrags der Bundesländer mit der geringen Bedeutung der NPD. Die Partei verfolge zwar verfassungsfeindliche Ziele, es fehle aber an konkreten Anhaltspunkten, dass ihr Handeln zum Erfolg führen könnte (Aktenzeichen: 2 BvB 1/13).

Für die rechtsextremistische Szene sei die NPD nach wie vor sehr wichtig, sagte Staud. „Die Partei ist ihr wichtigster Kristallisationspunkt.“ Die NPD habe eine eingespielte Struktur, mit der sie in die Szene hineinwirke. Für moderatere Rechte habe die Partei hingegen inzwischen keine Bedeutung mehr. „Die haben sich ohnehin von der NPD abgewandt und wählen mittlerweile meist die AfD.“ Um sich von der AfD zu unterscheiden, werde die NPD nun sicherlich schärfere Töne anschlagen.

Besonders wichtig für die NPD sei, dass sie nun weiterhin Mittel aus der staatlichen Parteienfinanzierung erhalten kann, hob Staud hervor. 2015 bekam die NPD nach Angaben des Bundestags rund 1,3 Millionen Euro. Für 2016 liegen die Rechnungen noch nicht vor. „Das Geld ist extrem wichtig für die gesamte rechtsextreme Szene“, sagte Staud. „Die Partei finanziert damit ihre Kader.“ Die staatlichen Mittel seien die wichtigste Finanzierungsquelle der Szene.

Dass das Verfassungsgericht der NPD in der Begründung des Urteils ausdrücklich eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus attestierte, sei für die rechtsextreme Szene hingegen ohne Bedeutung, erläuterte Staud. „Das wusste ohnehin jeder, der in der NPD aktiv ist. Das schreckt niemanden ab.“

Virchow sieht in NPD-Urteil bedenkliches Signal

Der Rechtsextremismus-Experte Fabian Virchow warnt davor, dass das Scheitern des NPD-Verbotsantrags Rechtsextremisten ermutigen könnte. „Ergebnis dieses Urteils ist im Grundsatz, dass in Deutschland eine nationalsozialistische Partei als solche auftreten und Propaganda betreiben kann und das nur mit kleinen Einschränkungen“, sagte der Leiter des Forschungsschwerpunkts „Rechtsextremismus/Neonazismus“ der Hochschule Düsseldorf. „Das halte ich für bedenklich.“

Rechtsextreme Kleinparteien wie „Die Rechte“ und „Der III. Weg“ könnten sich nach Ansicht des Forschers nun in ihrem Kurs bestätigt fühlen und sich sogar noch weiter radikalisieren. „In den Führungsetagen solcher Parteien werden heute die Sektkorken geknallt haben, denn sie sind politisch noch bedeutungsloser als die NPD, aber in ihnen sammeln sich überzeugte Neonazisten“, erklärte Virchow. „Und sie können nun weitermachen wie bisher.“

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen ein NPD-Verbot könne zur Gründung weiterer neonazistischer Parteien führen, befürchtet der Wissenschaftler: „Viele Nationalsozialisten, die in Kameradschaftsstrukturen ausgewichen waren, werden nun erkennen, dass es viel besser ist, sich als Partei zu organisieren und das Parteienprivileg in Anspruch zu nehmen.“ Ein Verbot der NPD hätte dagegen aus Virchows Sicht zumindest für einen bestimmten Zeitraum und Umfang die rechte Szene geschwächt. „Das wäre mehr als Symbolpolitik gewesen, nämlich ein politisches Signal, dass es Grenzen dafür gibt, was eine solche Organisation tun darf“, betonte er.

Stattdessen werde die NPD nun vermutlich mit voller Kraft etwa im Saarland in den Wahlkampf einsteigen, wo sie bei der Landtagswahl 2004 auf vier Prozent kam. Die Partei könne sich durch das Urteil als Karlsruhe gestärkt sehen. „Mittelfristig wird hängenbleiben: Wir sind eine demokratische Partei, denn wir sind nicht verboten worden“, sagte Virchow. „Von politischer Seite wird sich in den nächsten Jahren niemand an einen Verbotsantrag herantrauen. Das Instrument ist tot.“

Zick: Jetzt ist Zivilgesellschaft gefordert

Der Extremismus-Experte Andreas Zick fordert nun mehr Stärkung und Schutz für die Zivilgesellschaft. „Es wäre gut, wenn nach dem Urteil die Prävention vor rechtsextremen Radikalisierungen hochgefahren wird“, sagte Zick in Bielefeld. „Es ist doch klar, dass die NPD-Sympathisanten nicht demokratischer werden durch das Urteil, sondern eher radikaler.“

Jetzt sei die Zivilgesellschaft gefordert und die Politik, ihr zu helfen und sie mit Mitteln für die Prävention und Intervention auszustatten, unterstrich der Leiter des Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld.

Zick warnte davor, die Gefahr durch die rechtsextreme Partei zu unterschätzen. NPD-Anhänger hätten stärkere menschenfeindliche Einstellungen als Anhänger anderer Parteien und billigten Gewalt eher. Seit dem Zweiten Weltkrieg seien Anhänger der Partei an menschenfeindlichen Angriffen beteiligt und betrieben antisemitische Propaganda.

„Wir sollten nicht vergessen, dass die NPD mit gewaltbereiten Gruppen paktiert hat, die den Kampf auf der Straße geführt haben“, mahnte Zick. Sie seien dort aktiv, wo „Pegida“ und andere rechtspopulistische Gruppen schwach seien. Besonders in kleinen lokalen Räumen im Osten sei die Bedrohung durch die NPD hoch.

Ein Parteienverbot sei immer ein Dilemma, erklärte Zick. Entscheidend sei, dass die Argumente rechtlich sicher seien. Das Bundesverfassungsgericht habe zwar festgestellt, dass die rechtsextreme Partei die Menschenwürde von Gruppen infrage stelle und die Demokratie missachte. Die NPD versuche in ihrem äußerst angeschlagenen Zustand die Kontrolle über einzelne Räume zu gewinnen. Deswegen hetze sie gegen Asylsuchende, ihre politischen Gegner sowie gegen politische und kulturelle Eliten und stachele zur Aggression auf. „Es reicht nur nicht am Ende, um die Gefahr so hoch einzuschätzen, dass ein Verbot Sinn macht“, sagte Zick. (epd/mig) Aktuell Politik

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