Kalkulierte Tabubrüche
Die Rechte will unsere Sprache ändern
Die Äußerungen des AfD-Politikers Höcke über das Berliner Holocaust-Mahnmal sind Kalkül. Bei diesen Tabubrüchen geht es darum, im Kampf um die Sprache das Ruder herumzuwerfen. Von Houssam Hamade
Von Houssam Hamade Montag, 23.01.2017, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 24.01.2017, 21:07 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Die Sprache ist ein Schlachtfeld im Krieg um die kulturelle Hegemonie. Wenn die Rechte das Konzept der Political Correctness so erbittert angreift, wie sie es eben tut, dann tut sie das nicht, weil sie sich um die Objektivität der Sprache sorgt, sondern weil die Political Correctness eine Frontlinie markiert, die, solange sie nicht massiv geschwächt ist, der Rechten einen Sieg unmöglich macht. Nicht umsonst erklären die rechtsextremen „Identitären“ in ihren Videos ganz offen: „Wir wollen die Sprache ändern“.
Das Hauptproblem der Rechtsextremisten der Mitte von Sarrazin bis AfD ist nämlich, dass sich Weltbilder nur über Sprache vermitteln lassen. Wer aber ein Weltbild vermitteln will, in dem festgelegte, ethnische Gruppeneigenschaften die zentrale Rolle spielen, der muss derzeit noch umständlich nach Umschreibungen suchen. Das geht selbstverständlich trotzdem. Sarrazin hat hier quasi eine Meisterleistung geboten.
In seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ breitet er ein Weltbild aus, das sich durchaus als rechtsextremistisch verstehen lässt. So behauptet er, dass „Türken“ und „Araber“ aufgrund von Inzucht die schlechteren Gene hätten und überhaupt eine rückständige Kultur. Außerdem spielt der Titel seines Buches mit dem rechtsextremen Konzept des „Volkstodes“. Das alles schafft er zu sagen, ohne dass er von der Mehrheit der Bevölkerung als der Rassist bezeichnet wird, der er ist. Da muss eine Delegation der UN kommen, und diese Feststellung treffen.
Dennoch ist seine Vorgehensweise umständlich und verstellt ihm sogar wohl selbst den Blick. Kaum auszudenken, was ein Sarrazin denken würde, könnte er in den adäquaten Begriffen sagen und denken was er sagen und denken will. Nämlich, dass die deutsche Rasse und die über viele Jahrhunderte natürlich gewachsene deutsche Kultur der Kultur und den Genen der dunkleren Rassen überlegen sind und dass Rassenvermischung und Kulturvermischung tödlich sind für das deutsche Blut. Das deutsche Volk stehe kurz vor dem Volkstod und müsse Maßnahmen der Selbstverteidigung entwickeln. Das würde Sarrazin wohl sagen, wenn es nicht politisch unkorrekt wäre.
Das Denken der Rechtsextremen kann sich nur schwerlich entfalten, mit diesen ganzen Sprachbarrieren. Das ist wohl einer der Gründe, warum Frauke Petry vor einiger Zeit in der Welt am Sonntag, meinte, dass das Wort „völkisch“ wieder einen positiven Klang bekommen müsse. Zwar erhält sie damit Aufmerksamkeit, andererseits schadet es ihrem Ziel, vollends in der „Mitte“ der Gesellschaft anzukommen. „Völkisch“ sagt aber genau den Kern dessen aus, was die AfD sagen möchte. Ihr Weltbild ist im Kern völkisch, und ohne das Wort „völkisch“ wiederzugewinnen, wird sie Schwierigkeiten haben, die gesellschaftliche Hegemonie zu erkämpfen.
Diese Strategie der Enttabuisierung wird von rechtsextremen Vordenkern wie Thor Waldstein auch explizit so formuliert. Es gelte im „metapolitischen“ Kampf um die Kultur und vor allem um die Sprache das Ruder herumzuwerfen. Dieser Kampf wurde in den letzten Jahren recht erfolgreich geführt. Das hat den gesellschaftlichen Diskurs so verschoben, dass linke und andere demokratische Kräfte viel Energie in Abwehrkämpfen verpulvern müssen. Begriffe wie „Gutmensch“, „Hypermoral“ und sogar das alte „Abendland“ sind im Rennen und dienen als Eckpfeiler einer ganz spezifischen, mitunter rechtsextremen Blick auf die Welt. Der Begriff „Deutschenfeindlichkeit“ beispielsweise dreht die „Ausländerfeindlichkeit“ um und konstruiert eine Selbstverteidigungssituation der Deutschen. Selbst das Wort „Hetze“ ist von den Rechten übernommen worden, indem sie sich immer und immer wieder als Ziel linker Hetze darstellen. Ein Witz, selbstverständlich, aber dennoch Realität.
Wenn der Soziologe Andreas Kemper Recht hat, betreibt ein Teil der Rechten, darunter der AfD-Politiker Björn Höcke, ganz bewusst diese Strategie. Seinen Recherchen zufolge soll Höcke unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ früher nationalrevolutionäre und NS-verherrlichende Texte geschrieben haben. Seine sehr überzeugende Begründung lässt sich online nachlesen. Laut Kemper versucht Höcke die von ihm imaginierte „Neurotisierung des Abendlandes“ zu durchbrechen. Ein Mittel dazu sei, Tabubegriffe zu gebrauchen, ohne den an sich offensichtlichen Zusammenhang mit der NS-Ideologie herzustellen. Wichtig sind hier Begriffe wie das „gesunde Volksempfinden“, mit dem Urteile der Nazijustiz gerechtfertigt wurden. Regelmäßig spricht er auch davon, dass „Anlagen des Volkes“ entwickelt werden müssten, ein Begriff aus der NS-Pädagogik. Selbst von einem erwachenden Deutschland traut sich Höcke zu sprechen. Kaum kaschierbar ist der braune Geist Höckes, bei der Erwähnung einer 1000-jährigen Vergangenheit und 1000-jährigen Zukunft Deutschlands, was nur aus einem faschistisch verzerrten Geschichtsverständnis heraus Sinn ergibt.
Dass Höcke diese Sprache benutzt, kann kein Zufall sein, denn er ist Historiker. Er muss also genau wissen, was er tut. Dabei ist zu betonen, dass all diese Tabus nicht nur aufgrund irgendeiner überempfindlichen Political Correctness bestehen, sondern weil Sprache, Wahrnehmung und Handlungen in einem direkten Zusammenhang stehen und wir die Erfahrung gemacht haben, wie gefährlich und hässlich diese Sprache ist. Die „Volksgemeinschaft“, die vom rechten Flügel der AfD gerne beschworen wird, erzeugt eine verzerrte Wahrnehmung der Welt, fühlt sich aber auf Grund ihrer Einfachheit und ihrer identitätsstiftenden Kraft für Menschen die das brauchen sehr richtig an. Volksgemeinschaften hat es aber nie gegeben und kann es nicht geben, weil Gesellschaften zu komplex und groß und heterogen sind, als dass sie eine familiäre Gemeinschaft sein könnten. Jeder Versuch, sie zu einer „Gemeinschaft“ zu machen, ist ein Versuch, Homogenität zu erzwingen. Hannah Arendt würde sagen, dieser Versuch müsse im Terror münden.
Dieser Kampf um die Sprache muss auch nicht immer einer bewussten Strategie folgen: Er liegt schlicht nahe. In einem nach wie vor aktuellen Leitartikel in der Welt wurde ganz nebenbei vom „Graben zwischen den Rassen in den USA“ geschrieben. Es ist kaum anzunehmen, dass Journalisten der Welt so etwas nur herausrutscht, denn die „Rasse“ ist in Deutschland aus historischen Erfahrungen und wissenschaftlichen Gründen Tabu. Fraglich ist dann, warum ein Journalist eines angeblichen Qualitätsmediums hier einen so extrem aufgeladenen Begriff „hineinschlüpfen“ lässt, obwohl völlig klar ist, dass er wissenschaftlich gesehen unsinnig ist. Die Antwort muss wohl sein: Weil „Rasse“ ein zentraler Teil des rechten Weltbildes ist.
Dieser Strategie, die Grenzen des Sagbaren zu erweitern, muss widerstanden werden, denn sie bereitet die Grundlage dafür, dass Rassentheorien und völkische Irrlehren wieder in der Mitte der Gesellschaft Platz nehmen. Sarrazins Strategie ist es, das Etikett wegzulassen und nur den giftigen Inhalt zu verkaufen, während Höcke und andere diese Etikette schleichend wiedereinführen. Ob es nun bewusst oder unbewusst geschieht, auch die um Mitte-Verträglichkeit kämpfende Petry beteiligt sich mit ihren Aussagen an dieser Strategie. Aktuell Meinung
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