Wenn nicht wir, wer dann?
Somalier kehren aus dem Exil zurück, um ihr Land wieder aufzubauen
Einkaufszentren, Hotels, Druckereien: Mitten im kriegszerrütteten Mogadischu entstehen immer mehr Unternehmen. Ehemalige Flüchtlinge kehren dafür aus der Sicherheit des Exils nach Somalia zurück - wissend, dass sie jederzeit getötet werden könnten.
Von Bettina Rühl Donnerstag, 18.05.2017, 4:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 25.05.2017, 12:10 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Inmitten der Ruinen steht ein Neubau mit strahlendweißer Fassade und metallisch glänzenden Eingangssäulen. Zwei Bewaffnete und ein Schlagbaum an der Straße Richtung Altstadt sollen das gerade fertiggestellte Einkaufszentrum in Mogadischu schützen. Das historische Viertel der somalischen Hauptstadt besteht nach 26 Jahren Krieg zu weiten Teilen aus zerstörten Bauten. Die „Mogadischu Mall“ mit ihrem riesigen roten Namensschild auf dem Dach sticht von weitem heraus.
„Es war sehr mutig von den Investoren, hier eine solche Mall zu finanzieren“, sagt der 32-jährige Unternehmer Abdurahman Nour. Denn Somalia ist von Frieden weit entfernt. Der Terror der Shabaab-Miliz wüted ungebrochen. Die Gefahr, dass Attentäter das neue Einkaufszentrum gleich wieder in die Luft jagen, ist deshalb groß. Bei ihren regelmäßigen Anschlägen beladen die Terroristen mittlerweile nicht nur Autos, sondern ganze Lastwagen mit Sprengstoff. Die lassen sie vor Hotels oder an anderen öffentlichen Plätzen explodieren – mit verheerenden Folgen und oft Dutzenden Toten.
Nour und seine Familie verdienen mit dem Mut der Investoren ihr Geld. Ihr Unternehmen „Target Group“ baut zwischen den Ruinen Hotels, private Krankenhäuser, Geschäftshäuser oder was sonst gewünscht ist. Das Geschäft läuft gut, birgt jedoch auch ein hohes Risiko: Nour kann jederzeit Opfer eines Attentats werden, ein Anschlag auf seine Geschäftsräume ist nicht unwahrscheinlich.
Nour: „Ich konnte nicht länger im Ausland bleiben“
13 Jahre lang lebte Nour im Exil, studierte in Malaysia, lebte in Dubai und Kenia, immer auf der Flucht vor dem Krieg in seiner Heimat. Im Herbst 2011 kehrte er nach Mogadischu zurück. „Ich konnte nicht länger im Ausland bleiben“, sagt der junge Unternehmer. „Wenn wir unsere Heimat nicht aufbauen, wird das kein anderer tun“, sagt der große, schlanke Mann, dem man glaubt, dass er sich wirklich für die Möglichkeiten Somalias begeistert und nicht nur an die eigenen Gewinnmöglichkeiten denkt.
Es gibt Hunderte, sogar Tausende Rückkehrer, die ebenso denken. Die genaue Zahl kennt niemand, die schwache somalische Regierung hat andere Sorgen als die Statistik. Aber sicher ist: Am „Lido“, dem Strand von Mogadischu, wird Englisch mit den unterschiedlichsten Akzenten gesprochen. Rückkehrer aus aller Welt sind nicht nur die treibende Kraft hinter vielen Investitionen, sondern auch im politischen Leben allgegenwärtig. Sie sind es, die dem kriegszerstörten Land neue Hoffnung geben – sofern man von Hoffnung für Somalia überhaupt reden kann. Den Menschen Arbeit zu geben ist ein wichtiger Teil davon.
Die Deutschen bauen Maschinen
Nour beschäftigt in seinem Unternehmen rund 50 feste Mitarbeiter, und je nach Auftragslage zusätzlich etliche Tagelöhner. Weil jeder, der Geld verdient, zwei bis drei Familien versorgt, ernährt die „Target Group“ allein durch ihre Festangestellten etwa 600 Menschen.
Ähnlich viele Angestellte hat Abdullahi Sheikh Musa Hassan. In der Druckereihalle des 42-Jährigen arbeiten etwa 20 Menschen konzentriert an Geräten der Firma Heidelberger Druckmaschinen, die der Unternehmer aus Deutschland importiert hat. „Die Deutschen bauen Maschinen, die 200 oder 300 Jahre halten. Ich weiß nicht, warum sie das tun, das ist ja eigentlich schlecht fürs Geschäft.“
Zurück nach 20 Jahren
Auch Hassan hat sich von den regelmäßigen Terroranschlägen und der allgemeinen Unsicherheit nicht abschrecken lassen. Nach 20 Jahren im Exil flog er 2014 von London nach Mogadischu zurück. „Ich bin in meine erste Heimat Somalia zurückgekehrt, um das zu tun, was ich gerne tue: Unternehmen zu gründen und Menschen Arbeit zu geben“, sagt er. Wie Nour will auch er dadurch beim Wiederaufbau dieses Landes helfen.
Hassan hat einen offenen, selbstbewussten Blick. Er trägt eine helle Hose und ein kariertes Hemd. Der Unternehmer wirkt unkompliziert aber entschieden, wenn es darum geht, seine Ziele durchzusetzen. Als er 20 war, floh er mit seinen Eltern vor dem Bürgerkrieg in Somalia, der 1991 mit dem Sturz des Diktators Siad Barre begann. In Großbritannien nutzte er seine Chancen, studierte Internationale Beziehungen, machte einen Master in Verlagswirtschaft. Dann gründete er in London sein erstes Unternehmen, ebenfalls in der Druckindustrie. Seine somalisch-stämmige Frau lehrte Englisch an einer britischen Universität, und obwohl beide berufstätig sind, hat das Paar vier Kinder.
Hassan: Jeder hat Verantwortung
Aber Hassan zog es nach Somalia zurück. Vor allem, weil er in Großbritannien immer als Flüchtling wahrgenommen wurde, trotz seines unternehmerischen Erfolgs. Zudem fühlte er sich in seiner ersten Heimat gebraucht. „Somalia ist nicht anders als beispielsweise Deutschland“, sagt er. „Das lag vor 50 oder 60 Jahren nach zwei Kriegen auch am Boden, und jetzt ist es eine der stärksten Wirtschaftsmächte der Welt“.
Hassan ist davon überzeugt, dass jeder eine Verantwortung hat: „Wie sich die Verhältnisse irgendwo auf der Welt entwickeln, hängt immer davon ab, ob es Menschen gibt, die ihr Umfeld verändern.“ Dabei wollen er und die anderen Rückkehrer in Somalia mithelfen. (epd/mig) Leitartikel Panorama
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Fachkräftemangel vs. Abschiebung Pflegeheim wehrt sich gegen Ausweisung seiner Pfleger
- „Diskriminierend und rassistisch“ Thüringer Aktion will Bezahlkarte für Geflüchtete aushebeln
- Verwaltungsgerichtshof Nürnberg muss Allianz gegen rechts verlassen
- Ein Jahr Fachkräftegesetz Bundesregierung sieht Erfolg bei Einwanderung von…
- Brandenburg Flüchtlingsrat: Minister schürt Hass gegen Ausländer
- Chronisch überlastet Flüchtlingsunterkunft: Hamburg weiter auf Zelte angewiesen