Terror trifft Diplomatenviertel
In Afghanistan zeichnet sich kein Ende des Krieges ab
Sicherheit ist ein rares Gut in Afghanistan. Selbst Diplomaten in Kabul können sich nicht gegen Gewalt schützen. Schwere Anschläge wie am Mittwoch sind das Resultat ungelöster politischer Krisen.
Von Agnes Tandler Donnerstag, 01.06.2017, 4:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 05.06.2017, 18:01 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
„Wie ein Erdbeben“ hat eine Explosion am Mittwochmorgen das hochgesicherte Diplomatenviertel von Kabul erschüttert. So schilderten Augenzeugen den schweren Anschlag in der Rush Hour in der afghanischen Hauptstadt. Mehr als 80 Menschen starben, etwa 350 wurden verletzt, darunter auch Mitarbeiter der deutschen Botschaft. Mehr als 50 Autos brannten, Fensterscheiben flogen Hunderte Meter weit. Kurz nach Beginn des islamischen Fastenmonats Ramadan, der dem Frieden und der inneren Einkehr gewidmet ist, wiegt der Schock über das Attentat besonders schwer. „Wir wollen Frieden, aber diejenigen, die uns während des Ramadans töten, sind des Friedens nicht wert“, erklärte Afghanistans Ko-Regierungschef Abdullah Abdullah.
Der Anschlag wurde in der diplomatische Zone Kabuls verübt, in der sich auch das Hauptquartier der ausländischen Militärmission für Afghanistan befindet. Das Wasir-Akbar-Chan-Viertel war bereits in der Vergangenheit Ziel von Anschlägen. Und auch jetzt stellt die Frage: Wie schafften es die Attentäter, den Sprengsatz in das stark bewachte Gebiet zu bringen? Er soll in einem Tanklaster verborgen gewesen sein.
Selbst Botschaftsangehörige sind nicht sicher
Das Attentat zeigt auch, wie wenig sich die Sicherheitslage nach fast 16 Jahren Krieg verbessert hat und wie wenig sichere Gebiete es in Afghanistan gibt: Selbst Botschaftsangehörige hinter meterhohen Mauern und Explosionsschutzwänden sind nicht sicher.
Afghanistans Sicherheitsdebakel ist das Resultat von gleich drei politischen Krisen: Die Regierung ist zerstritten, Afghanistans Beziehungen zu den Nachbarn sind schwierig, und der Konflikt mit den radikal-islamischen Taliban dauert an. Präsident Aschraf Ghani leitet eine schwache Regierung, die vom Westen zwar gestützt wird, aber mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert ist und nur begrenzt Einfluss hat. Das ist Wasser auf die Mühlen der Aufständischen, die weiter einen Großteil des Landes kontrollieren.
Bemühungen bislang vergeblich
Afghanistans Beziehungen mit dem Nachbarland Pakistan liegen im Argen: Pakistan ist aber von zentraler Bedeutung für die Sicherheit und Zukunft Afghanistans. Die USA haben mehr als ein Jahrzehnt lang versucht, Pakistans Militär und Geheimdienst mit milliardenschweren Militärhilfen dazu zu bringen, Terrororganisationen wie das Haqqani-Netzwerk zu bekämpfen. Zugleich sollte die Taliban-Führung, die 2002 in Pakistan Zuflucht gefunden hat, zu einem Friedensschluss mit der Regierung in Kabul bewegt werden. Bislang vergeblich.
Pakistans Armeeführung hat diese Strategie dazu genutzt, um das Beste beider Welten zu bekommen: Amerikanische Unterstützung für den Anti-Terror-Krieg auf der einen Seite – gekoppelt mit der ungebrochene Unterstützung der Taliban auf der anderen Seite, über die sich Pakistan seinen Einfluss in Afghanistan sichern will.
Angespannte Beziehungen
Doch auch die Beziehung zwischen Afghanistan und den wichtigen Regionalmächten Iran und Russland sind angespannt, ohne deren Mitwirkung das Land kaum dauerhaft zu stabilisieren ist. Im Gegenteil, es zeichnet sich eine neue Front zwischen den USA und Russland in Afghanistan ab – diesmal mit umgekehrten Vorzeichen als in den 1980er Jahren. Russland sucht die Nähe zu den aufständischen Taliban, seinem früheren Kriegsgegner, während die USA die Regierung in Kabul stützt.
Der Westen sieht das neue Engagement Russlands in Afghanistan kritisch und hat eine Einladung Moskaus zu Friedensgesprächen in Afghanistan ausgeschlagen. Gleichzeitig mehren sich die Hinweise drauf, dass die USA unter Präsident Donald Trump ihre rund 9.000 Soldaten in Afghanistan wieder aktiv am Kampf gegen die Taliban beteiligen wollen, anstatt vor allem Trainingsaufgaben zu erfüllen.
Vermehrt US-Drohnenangriffe
US-Drohnenangriffe und Luftkampfeinsätze nahmen in den letzten Wochen stark zu. Die Zahl der Luftschläge der Amerikaner gegen die Taliban und die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) sind auf dem höchsten Stand seit fünf Jahren. Im April allein warfen die USA 460 Bomben am Hindukusch ab – mehr als doppelt so viel wie im Vormonat. Und im April setzten die USA ihre stärkste nicht-atomare Bombe gegen angebliche Verstecke des IS im Osten des Landes ein.
In Afghanistan selbst sind trotz jahrelanger Anstrengung die politischen Lösungsversuche nie über das Anfangsstadium hinausgekommen. Die Friedensgespräche mit den Taliban sind festgefahren. Dabei ist eines klar: Der Krieg in Afghanistan wird mit einer politischen Lösung enden müssen, denn militärisch ist der seit fast 16 Jahren währende Krieg nicht zu gewinnen. Und beide Seiten verzeichnen heftige Verluste. (epd/mig) Aktuell Ausland
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