Von der Bundestagswahl ausgeschlossen

Experten fordern mehr Einbürgerungen zur Stärkung der Demokratie

In Deutschland leben mittlerweile Millionen Menschen ohne deutschen Pass. Viele von ihnen haben hier dauerhaft ihre Heimat gefunden, bei der Bundestagswahl können sie aber nicht abstimmen. Experten warnen vor einem Demokratiedefizit.

Freitag, 01.09.2017, 4:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 06.09.2017, 18:24 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Immer mehr Einwohner Deutschlands sind Migrationsforschern zufolge nicht mehr im Bundestag repräsentiert: Fast acht Millionen Erwachsene in Deutschland könnten nicht bei der Bundestagswahl abstimmen, weil sie keinen deutschen Pass hätten, erklärte Dietrich Thränhardt von der Universität Münster am Donnerstag in Berlin. „Das ist ein Problem für die Demokratie“, sagte er. Grund dafür sei die geringe Einbürgerungsquote in Deutschland.

Thränhardt verwies darauf, dass 2015 insgesamt 1,3 Prozent der hier lebenden Ausländer die deutsche Staatsangehörigkeit erhielten. Im gleichen Jahr lag die Einbürgerungsquote in Schweden bei 6,5 Prozent, in den Niederlanden bei 3,3, in den USA bei 3,3, in Frankreich bei 2,6 und in der Schweiz bei 2,1 Prozent.

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Tränhardt: Einbürgerung stärkt Demokratie

Im Jahr 2016 stieg die Einbürgerungsquote den Angaben zufolge auf 2,2 Prozent. Unterschiede gab es aber zwischen den Bundesländern: Während Hamburg mit einer Quote von 3,7 Prozent im Jahr 2016 als einbürgerungsfreundlich gelte, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern (3,4) und Thüringen (3,4), gebe es in Baden-Württemberg (2,0), Berlin (1,8) und Bayern (1,8) die meisten Restriktionen bei Einbürgerungen.

„Dass Bevölkerung und Staatsvolk weitgehend zur Deckung kommen, liegt im Interesse der deutschen Demokratie“, betonte Thränhardt. Wenn alle Menschen, die permanent in Deutschland wohnen, Deutsche würden, stärke das den sozialen Zusammenhalt, diene der Integration und mache das Land stabiler, fügte der Migrationsforscher hinzu.

Nur 100.00 Einbürgerungen jährlich

Lesetipp: Prof. Dietrich Thränhardt übt in einer Analyse für die Friedrich-Ebert-Stiftung, Einbürgerung im Einwanderungsland Deutschland, Kritik an der Einbürgerungspolitik. Darin erteilt er unter anderem dem sog. Generationenschnitt eine Absage. Danach soll der Einwanderergeneration die mehrfache Staatsangehörigkeit zugestanden werden, späteren Generationen aber nicht. Tränhardt attestiert dem in der Politik immer lebhafter diskutierten Vorschlag nicht nur rechtliche Probleme: Die Menschen würden die Staatsangehörigkeit ihrer Vorfahren von sich aus nicht mehr annehmen, wenn sie sich in dem neuen Land „anerkannt und akzeptiert fühlen, das Land stabil ist und die Verbindungen zum Herkunftsland früherer Generationen sich gelöst haben.“ Diese Entwicklung habe man bereits bei den Aussiedlern beobachten können.

Ausländer können die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, wenn sie mindestens acht Jahre lang in Deutschland leben und keine schweren Straftaten begangen haben. Weitere Vorraussetzungen sind unter anderem der Erwerb der deutschen Sprache, die Sicherung der Lebenshaltungskosten sowie die Zahlung einer Einbürgerungsgebühr, die derzeit bei 255 Euro liegt.

Jährlich würden in Deutschland nur rund 100.000 Ausländer eingebürgert, kritisierte der Einbürgerungsexperte Falk Lämmermann von der Landesvertretung Rheinland-Pfalz beim Bund. Das Einbürgerungspotenzial liege in Deutschland aktuell aber bei rund 5,2 Millionen Menschen. Ein Großteil von ihnen seien EU-Bürger sowie Menschen, die schon mehr als 20 Jahre in Deutschland leben.

Lämmermann: Einbürgerungen kompliziert und langwierig

Lämmermann kritisierte das komplizierte und langwierige Einbürgerungsverfahren, das in mehrere Phasen gegliedert und mitunter sehr bürokratisch sei. „Es gibt in Deutschland noch keine Kultur, wo Einbürgerungen zum Einwanderungsprozess dazugehören“, sagte der Experte. Das Verfahren müsse vereinfacht und beschleunigt werden. Mit Blick auf Menschen, die bereits mehr als 20 Jahre in Deutschland leben, solle mit einer sogenannte Altfallregelung der Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft erleichtert werden.

Zudem müsse für die Einbürgerung aktiv geworben werden. Insbesondere EU-Bürger seien seltener am deutschen Pass interessiert. „Traditionell haben Menschen aus reichen und sicheren Ländern eine geringere Motivation, sich einbürgern zu lassen“, sagte Thränhardt. In Deutschland ließen sich Schweizer, Spanier, Franzosen, Amerikaner, Norweger und Japaner besonders selten einbürgern. Einbürgerungsquoten von mehr als zehn Prozent gebe es dagegen bei den Bürgerkriegsländern Syrien (12,5), Irak (11,7) und Afghanistan (10,8) sowie den instabilen afrikanischen Ländern Nigeria (11,3) und Kamerun (18,5). (epd/mig) Leitartikel Politik

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  1. Josef Clemens Artzdorf sagt:

    Lange schon bin ich überzeugt davon, dass Einbürgerungen hierzulande viel zu kompliziert sind. Menschen, die, sagen wir seit 5 Jahren, mit geklärtem Aufenhaltstatus hier leben, und dies dauerhaft weiterhin vorhaben, sollte dies mit möglichst wenig Aufwand ermöglicht werden. Wenn sie die deutsche Sprache in Wort und Schrift beherrschen, und das Grundgesetz als Fundament unserer Gesellschaft uneingeschränkt, selbstverständlich auch über allen „Religionsgesetzen“ stehend, als ihre Prämisse anerkennen, bedürfte es dazu eigentlich nur eines schlichten formalen Aktes zur Zubilligung aller Rechte und Pflichten eines Bundesbürgers.
    Konsequenterweise allerdings, sehe ich dann die Regelung der doppelten Staatsbürgerschaft als obsolet an. Immer wieder führt diese Praxis zu spürbaren Loyalitätskonflikten, welche das Zusammengehörigkeitsgefühl des Staatsvolkes empfindlich aus dem Gleichgewicht zu bringen vermag. Wir erleben es gerade derzeit, mit der versuchten Aufwiegelung „seiner Brüder“ durch einen vorderasiatischen Diktator in verhängnisvollster Weise!
    Also spürbare Vereinfachung der Einbürgerung ja, dafür Beendigung des Systems der doppelten Staatsbürgerschaft.
    Dies zu bewerben allerding hielte ich für verfehlt. Ein solcher Entschluss muss aus der migrierten Person selbst erwachsen, und zunächst einmal auch von ihr als Bedürfnis formuliert werden. Danach kann es positiv begleitet werden. Weil ein solcher Übergang einen ganz neuen Lebensentwurf bedeutet, und insofern eben doch mehr als ein Verwaltungsakt ist.
    EU-Bürger sind ein Sonderfall! Sie haben völlige Niederlassungsfreiheit überall zwischen den Azoren und dem Nordkap ( mit Einschränkungen für Neumitglieder) und automatisch auch das aktive und passive Kommunalwahlrecht. (nach dreimonatigem Mindestaufenthalt vor Ort). Sie werden in den seltensden Fällen den Wunsch zum Staatswechsel verspüren.
    Wollen sie allerdings politsches Mitspracherecht über den Wohnort hinaus, sind auch für sie doppelte Staatsbürgerschaften möglich. Dieses halte ich für durchaus genau so unklug wie im Falle der Nicht-EU-Bürger auch. Allerdings liegt eine Änderung dieser Praxis halt nicht in der Hand des deutschen Gesetzgebers allein.