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Hotline für besorgte Bürger

Gespräche mit dem Migranten des Vertrauens

Ali Can redet mit Leuten, die Angst vor dem Islam, vor Einwanderung oder vor Flüchtlingen haben. Vor einem Jahr gründete der Student eine "Hotline für besorgte Bürger". Von Stefanie Walter

Von Stefanie Walter Montag, 25.09.2017, 4:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 27.09.2017, 17:17 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

„Bin ich hier richtig beim – Wie nennen Sie sich noch mal? – Immigrant des Vertrauens?“ – „So ähnlich, genau.“ – „Sie diskutieren gerne?“ – „Ja. Aber nur auf Augenhöhe.“ Für Ali Can, 23 Jahre, türkisch-stämmiger Student aus Gießen, ist es nicht ungewöhnlich, angegangen zu werden. Vor einem Jahr gründete er eine „Hotline für besorgte Bürger„. Dort rufen AfD-Wähler und Rechtsgerichtete an, Ehrenamtliche, Weltoffene, Menschen, die Angst vor dem Islam, vor Einwanderung, vor Flüchtlingen haben. Can nennt sich „Migrant des Vertrauens“. Er will den Deutschen die Angst vor Einwanderern nehmen, durch Telefongespräche.

Ali Can sitzt in einem kleinen Café in Gießen, den Laptop vor sich auf dem Tisch. Der Regen prasselt gegen die Scheiben. Can spricht viel, schnell, gewählt. „Es gibt viel Bedarf an Kommunikation“, sagt er. Man dürfe die Leute nur nicht abstempeln. Zweimal in der Woche abends ist seine Hotline geschaltet, mehrere hundert Anrufe bekam er in dem einen Jahr. „Die Themen sind dieselben geblieben“, erzählt er: Islam, Integration, Sicherheit und „interkulturelle Missverständnisse“. Jetzt hat er ein Buch über seine Erlebnisse geschrieben.

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Schwung nach schleppendem Start

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Info: Ali Can, Hotline für besorgte Bürger – Antworten vom Asylbewerber Ihres Vertrauens, Verlag Bastei Lübbe, 271 Seiten. Hotline-Nummer: 0800/9090056

Rückblick: Ostern 2016 begibt sich Can, der mit drei Jahren als Sohn einer türkisch-kurdischen alevitischen Familie als Asylbewerber nach Deutschland kam, auf eine Reise: Er besucht mehrere ostdeutsche Städte, mischt sich in Dresden unter die Teilnehmer einer Pegida-Demonstration – und redet mit den Leuten. „Mein Fazit?“, schreibt er in seinem Buch „Hotline für besorgte Bürger – Antworten vom Asylbewerber Ihres Vertrauens“. „Wer bei besorgten Bürgern wie Pegida-Demonstranten eine wertschätzende Haltung gegenüber Migranten anstoßen möchte, muss den Demonstranten erst einmal selbst mit Wertschätzung begegnen.“ Daraus erwächst die Idee zur Hotline.

Für den Start machte er kaum Werbung. Am ersten Tag, im August 2016, setzte er sich ins Treppenhaus der Gießener Universitätsbibliothek und wartete aufgeregt – es meldete sich aber nur eine Freundin, die fragte, ob alles okay sei. Erst als immer mehr Medien berichteten, kam die Sache in Schwung. In den Telefongesprächen versucht er die Leute „durch Rhetorik sanft an einen Punkt zu bringen“ und ruft sie dazu auf, sich selbst zu reflektieren: „Worüber habe ich mich aufgeregt? Weil die Gruppe dort türkisch gesprochen hat und ich sie nicht verstehe?“ In den Telefonaten, wie er sie im Buch beschreibt, wirkt Can sehr defensiv, sagt „Ich verstehe Ihren Gedanken“ oder „Der Islam ist sehr vielschichtig“.

Psychologe: Gefangen in unserem Angstsystem

„Ich halte das für eine vernünftige Strategie“, sagt der Sozialpsychologe und Konfliktforscher Ulrich Wagner von der Uni Marburg zur Idee der Hotline. „Es gibt derzeit in hohem Maße Menschen, die verunsichert sind, ob berechtigt oder nicht.“ Er fürchte allerdings, dass sich die Leute nicht so leicht beruhigen lassen: „Wir sind in unserem Angstsystem gefangen.“

Der Wissenschaftler fordert daher Politik und Medien auf, eine „sachbezogene, lösungsorientierte und ethisch vertretbare Diskussion“ zur Einwanderung zu führen. „Es ist erstaunlich, wie wenig das bisher im Wahlkampf thematisiert wurde. Aber wir dürfen nicht darauf warten, dass sich die Gesellschaft immer weiter spaltet.“

Leidenschaft Friedensstiftung

Cans Eltern betreiben einen Dönerimbiss in einem Dorf bei Gießen. Dort hat der 23-Jährige noch sein Zimmer, lebt mittlerweile aber auch in Berlin. Aus der Hotline seien „viele Zweig-Projekte entstanden“. Can gibt Workshops zur interkulturellen Verständigung, plant eine Reise nach Israel und Palästina, probiert sich als Journalist aus. „Ich habe meine Leidenschaft Friedensstiftung gefunden.“

Doch noch will er Lehrer werden, er hilft auch oft im Dönerladen seiner Eltern aus. „Salat zu schnippeln hat was Meditatives.“ Die Hotline zahlt er aus der eigenen Tasche, der Verein „Interkulturell Leben“, den er im vergangenen Jahr gründete, lebt von Spenden. Can weiß nicht, ob die Gespräche wirklich etwas bringen. Aber die Alternative, sagt er, laute doch: „Wir überlassen das Feld den Radikalen.“ (epd/mig) Feuilleton Leitartikel

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