Familiennachzug
Menschenfeindliche Abschreckungspolitik
Im März 2016 hat die Bundesregierung den Familiennachzug zu subsidiär schutzberechtigten Flüchtlingen für zwei Jahre ausgesetzt. Jetzt fordert der Bundesinnenminister die Aussetzung abermals zu verlängern. Für die betroffenen Familien hätte das katastrophale Folgen. Von Sebastian Muy
Von Sebastian Muy Mittwoch, 06.09.2017, 4:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 11.09.2017, 17:43 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Vor fast zwei Jahren, im November 2015, rief Miriam Gutekunst im MiGAZIN dazu auf, das Recht auf Familienleben für Geflüchtete aus Syrien zu verteidigen. Kurz zuvor hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) nicht nur die bald folgende Gesetzesänderung, sondern auch die veränderte Entscheidungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) „vorausgesagt“, indem er gegenüber Journalisten verkündete, dass syrischen Flüchtlingen in Zukunft gesagt werde: „Ihr bekommt Schutz, aber den sogenannten subsidiären Schutz, also zeitlich begrenzt und ohne Familiennachzug.“ Am 17. März 2016 trat das „Asylpaket II“ in Kraft, und mit ihm § 104 Absatz 13 des Aufenthaltsgesetzes. Darin heißt es: Bis zum 16. März 2018 wird ein Familiennachzug zu Personen, denen im Asylverfahren der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt wird, nicht gewährt.
Am gleichen Tag versandte das BAMF eine Weisung an seine Asylentscheider, nach der die Gewährung von Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) für syrische Asylsuchende „nicht mehr die Regelentscheidung“ sei. Seit Juli 2016 erhält konstant deutlich mehr als die Hälfte der Asylsuchenden aus Syrien nur noch den subsidiären Schutz zugesprochen. Aber auch viele Asylsuchende aus dem Irak, aus Afghanistan, Eritrea und Somalia erhalten nur den subsidiären Schutz – und sind damit von der zweijährigen Aussetzung des Familiennachzugs betroffen.
Verfassungs- und menschenrechtliche Bedenken
Dabei gab es von Anfang an verfassungs- und menschenrechtliche Bedenken gegen die Regelung. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags warnten noch während des Gesetzgebungsverfahrens, die konsequente Anwendung des neuen Gesetzes widerspreche der UN-Kinderrechtskonvention, da dabei Aspekte des Kindeswohls nicht ausreichend berücksichtigt würden. Zum gleichen Ergebnis kommt auch das Deutsche Institut für Menschenrechte in einer Stellungnahme vom Dezember 2016.
Der Gesetzgeber rechtfertigte die Einschränkung des Familiennachzugs unter anderem mit dem Verweis auf die rechtliche Möglichkeit, in Härtefällen Angehörigen von subsidiär Schutzberechtigten nach § 22 Aufenthaltsgesetz Visa zu erteilen. Von dieser Härtefallregelung wurde jedoch bisher, ein halbes Jahr vor Ablauf der Sperrfrist, nur sehr restriktiv und in wenigen Einzelfällen Gebrauch gemacht. 1
Völlige Missachtung der Situation in Syrien
Des Weiteren rechtfertigte die Bundesregierung die Maßnahme mit dem Argument, sie führe „zu einer zeitlichen Verzögerung der Möglichkeit des Nachzugs, nicht aber zu dessen Ausschluss“. Seit die CDU/CSU im März in einer Pressemitteilung ankündigte, die Aussetzung verlängern zu wollen, und diese Drohung Ende August vom Bundesinnenminister bekräftigt wurde, ist jedoch deutlich, dass sich die Betroffenen auf das Auslaufen der Sperrfrist keineswegs verlassen können. In völliger Missachtung der katastrophalen Situation in Syrien und auch der rechtlichen Lage – nach fünf Jahren können auch subsidiär Geschützte eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten – behauptet die Union in ihrer Pressemitteilung dreist, diese hätten in Deutschland „keine dauerhafte Bleibeperspektive“ und bräuchten deswegen keinen Familiennachzug. Dabei werden die Syrer, die den Großteil der subsidiär Schutzberechtigten stellen, von einer Asylpolitik, die Asylsuchende zunehmend anhand ihrer „Bleibeperspektive“ sortiert, stets als jene mit „guter Bleibeperspektive“ kategorisiert – also mit erleichtertem Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Integrationskursen. Dass das nicht zusammenpasst, ist offensichtlich.
Was die Aussetzung des Familiennachzugs für die Betroffenen bedeutet, lässt sich gut an einem Beispiel aus der Beratung veranschaulichen, welches Sprachmittler Ahmad Shaban im Februar bei einem Vortrag vor zahlreichen Beratern und Unterstützern eindrücklich schilderte: „Das Schwierigste, was ich in der Beratung erlebt habe, war, einem Klienten, der glaubte, dass er die Flüchtlingsschaft bekommen hat, berichten zu müssen, dass er den subsidiären Schutz bekommen hat. Sein Gesichtsausdruck war unbeschreiblich: Er hat alle seine Unterlagen eingepackt und wollte sofort gehen, und als ich ihn beruhigen wollte, hat er mir gesagt: ‚Lieber mit meiner Familie sterben, als hier alleine in Sicherheit leben‘.“
Klare Botschaft: Keine Zukunft in Deutschland
Leider lässt der Vorstoß der Union nur den Schluss zu, dass sie genau das bezweckt: selbst den Menschen, denen Schutz zuerkannt wurde, weil ihnen in ihrem Herkunftsland Gefahr für Leib und Leben droht, verstehen zu geben, dass sie hier niemals eine Zukunft haben werden und sie dadurch zur Rückkehr ins Kriegsgebiet zu drängen.
Wie Flüchtlingsfamilien die lange Trennung durch die Barrieren bei der Familienzusammenführung subjektiv erleben und bearbeiten, hat Adam Naber, Mitarbeiter beim Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge e.V., in einer Studie untersucht, für die er Interviews mit syrischen Geflüchteten in Deutschland und ihren Familien im Libanon führte. Diese zeigen den Widerspruch zwischen den anfänglichen Erwartungen einer schnellen Flüchtlingsanerkennung und Familienzusammenführung in Deutschland und der realen Dauer und Unsicherheit, ausgelöst durch die Länge der Asyl- und Visaverfahren und schließlich durch das Asylpaket II.
Deutschland ist ein Rechtsstaat?
In der Folge wird aus der erwarteten vorübergehenden Abwesenheit eines Elternteils die Erfahrung einer unerwartet lange andauernden Familientrennung, begleitet von Ohnmachtsgefühlen. Aus Frust hierüber begannen einige Flüchtlinge, die Leiden durch die andauernde Familientrennung gegen die Gefahren der irregulären Migration über das Mittelmeer oder auch die eigene Rückkehr zu ihrer Familie in die Konfliktregion abzuwägen. Viele Geflüchtete berichteten, dass es ihnen wegen der Sorge um ihre Familie sehr schwerfalle, sich auf das Lernen der deutschen Sprache und andere Aktivitäten zu konzentrieren, die ihnen beim Einleben in Deutschland helfen und ihr Wohlbefinden steigern könnten. Die befragten Familien sorgten sich auch um die schädigenden Effekte der andauernden Trennung für die Kinder und emotionalen Beziehungen innerhalb der Familie. Die meisten Berater und Unterstützer werden diese Eindrücke wohl bestätigen können.
Wie soll man diesen Menschen, die zum Zeitpunkt ihrer Flucht und Ankunft berechtigterweise davon ausgehen konnten, dass sie bald, nach Abschluss ihres Asylverfahrens, ihre Familie nachholen könnten, und die dann durch das Asylpaket II noch einmal zwei Jahre „hingehalten“ wurden, nun erklären, dass sich die Bundesregierung nun entschieden hat, das Gesetz abermals zu ändern und die Aussetzung des Familiennachzugs weiter zu verlängern? Wie will der Staat von Menschen verlangen, im Abschlusstest ihres Integrationskurses auf die Frage „Deutschland ist ein Rechtsstaat. Was ist damit gemeint?“ nicht zu antworten: „Der Staat muss sich nicht an die Gesetze halten“, wenn er ihnen deutlich zu verstehen gibt, dass er jederzeit dazu bereit ist, quasi über Nacht elementare Grundrechte geflüchteter Menschen aus migrationspolitischen Erwägungen heraus zu suspendieren?
Eine Abschreckungspolitik, die über Leichen geht
Wer im Wahlprogramm der CDU/CSU nach dem Stichwort „Familie“ sucht, liest da etwa: „Ehe und Familien zu fördern, bleibt für uns eine der wichtigsten Aufgaben des Staates.“ Oder: „Wir wollen, dass Familien Zeit füreinander und miteinander haben, damit sie die schönste Zeit ihres Lebens bewusst gestalten und erleben können.“ Dabei entlarvt ihre Politik das Familienverständnis der Union in Wahrheit als ein sehr exklusives, ausschließendes: Das Familienleben gilt dann nicht mehr als förder- und schutzwürdig, wenn es sich nicht um eine (heterosexuelle) deutsche Kleinfamilie handelt, sondern eben beispielsweise um Geflüchtete aus Syrien oder anderswo.
Aber das Leid, die Verzweiflung, die Wut der Betroffenen entlädt sich eben nicht in den Schlafzimmern und Büros des Innenministers und seiner Parteikollegen, sondern in Flüchtlingsunterkünften und Beratungsstellen in Deutschland, in Flüchtlingslagern im Libanon und in zerbombten Stadtvierteln in Syrien. Höchste Zeit also, dass die Betroffenen und ihre Berater und Unterstützer sich zusammentun und ihre Stimme hörbar machen – gegen eine Abschreckungspolitik, die über Leichen geht.
- Wer es mit einem solchen Härtefallantrag versuchen möchte, findet auf www.asyl.net eine Arbeitshilfe.
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Deutschlands Aufnahmekapazität für Familien ist nicht mehr gegeben. Schon jetzt finden Familien, die sich bereits im Bundesgebiet befinden kaum eine Wohnung. Es ist für mich nachvollziehbar, dass zunächst die hier lebenden Familien versorgt werden müssen, bevor neue Familienzusammenführungen notwendig sind.
Die Asylpakete bewegen sich im Rahmen unserer Verfassung, sonst hätten die Klagen gegen die Versagung der Familienzusammenführung bei Subs. Schutzberechtigten bereits Erfolg gehabt.
Im Übrigen ist es tatsächlich so, dass jemand mit Subs. Schutz keine dauerhafte Bleibeperspektive hat, das ist ein wesentlicher Unterschied zwischen der Anerkennung des Subs. Schutzes und der Anerkennung nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Wenn die Antragssteller der Auffassung sind, Ihnen stehe ein besseres Recht zu, dann besteht die Klagemöglichkeit.
Wenn sich die Kreise, die sich für einen verstärkten Familiennachzug einsetzen mit gleicher Vehemenz für um die Durchsetzung der Ausreisepflicht einsetzen würden, wäre eine Verbesserung des allg. Wohnungsmarktes auch eher zu erreichen.
Was die Bundesregierung gemacht hat ist nur weitsichtig. Der soziale Unfrieden wäre bei obdachlosen Flüchtlingsfamilien erheblich größer, als bei einer zeitlich befristeten Aussetzung des Familiennachzugs.
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