12,7 Prozent
Jetzt wissen wir Bescheid
AfD-Wähler seien ja keine „Dumpfbacken“ heißt es jetzt von Experten, wir müssen mit ihnen reden. Aber worüber soll man mit ihnen reden? Etwa darüber, dass es nicht in Ordnung ist, das „deutsche Volk“ davor schützen zu wollen, vollends ein „Mischvolk“ zu werden? Von Maria Alexopoulou
Von Maria Alexopoulou Dienstag, 26.09.2017, 12:37 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 27.09.2017, 17:18 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Jetzt wissen wir es: Es sind 12,6 Prozent. Je nachdem, wo wir wohnen, begegnen uns mehr oder weniger „Mitbürger“, die uns weghaben wollen, die das „deutsche Volk“ vor uns verteidigen wollen. Je nachdem, wie dunkel unsere Haare, unsere Augen, unsere Haut ist und ob und wie muslimisch wir sind. All diese Abstufungen spielen für uns Migranten zunehmend eine größere Rolle.
Der Wahlsonntag hat uns nun eine noch klarere Vorstellung darüber gegeben, wo in Deutschland wir besonders damit rechnen müssen, herabgestuft zu werden, von einem dieser Wähler diskriminiert oder beleidigt zu werden. Und wir werden misstrauischer, da diese Wähler auch in den meisten unserer Nachbarschaften sind.
Es geht immer nur um die Abgehängten beziehungsweise die in ihrer eigenen Wahrnehmung Abgehängten, neuerdings die „kulturell Abgehängten“, deren Sorgen und Nöte. Und was ist mit uns Migranten? Auf einer wissenschaftlichen Konferenz zu den „Gefühlen der Migration“, auf der ich vorletzte Woche als Referentin eingeladen war, standen auch wieder deren Sorgen und Nöte im Vordergrund, weniger die von Migranten. Wir müssen nun mit Schrecken vernehmen, dass die AfD den Deutschen ihr Volk zurückgeben will.
Die AfD wird sie jagen, die Parteien, die nun die pluralistische Demokratie repräsentieren. Die Linke hat sie zum Teil bereits gekapert: Auch am Wahlabend wiederholt die Spitzenkandidatin, dass man in der Flüchtlingspolitik Fehler gemacht habe und nun die Quittung erhalte. Die CSU treibt sie vor sich her: auch hier wird bereits am Tag danach die Obergrenze ganz oben aus der Schublade gezogen, wobei das ja durchaus der CSU-Linie entspricht, das darf man nicht vergessen. Und die CDU und Angela Merkel? Sie arbeiten – gemeinsam mit der SPD – ohnehin bereits seit mehr als einem Jahr daran, Deutschland „vor Flüchtlingen zu schützen“. Es ist unfassbar, wie sehr alle Seiten ausblenden können, was aktuell etwa in Libyen passiert.
AfD-Wähler seien ja keine „Dumpfbacken“ heißt es jetzt von Experten, wir müssen mit ihnen reden. Aber worüber soll man mit ihnen reden? Etwa darüber, dass es nicht in Ordnung ist, das „deutsche Volk“ davor schützen zu wollen, vollends ein „Mischvolk“ zu werden?
Wann hört man endlich damit auf, kryptisch von Sorgen und Nöten zu sprechen und sagt offen, dass es diesen Wählern zu einem großen Teil tatsächlich darum geht, den Deutschen ihr Volk zurückzugeben? Wann wird das offen in der Debatte artikuliert und darüber nachgedacht, warum in einem Land wie Deutschland mit dieser Geschichte – die gerade mal zweiundsiebzig Jahre her ist – weiterhin völkisches Denken existiert und sich nun offen und provokant artikulieren darf? Warum haben alle Angst vor denen und stellen sich ihnen nicht klar und deutlich entgegen?
Solange das nicht so ist, ist es unvermeidlich, dass bei den Migranten, genau wie Mitte der Neunziger, als Asylheime und die Häuser von türkisch-stämmigen Migranten brannten, trotz der rührigen „Lichterketten“, Aus- und Abgrenzungsgefühle aufkommen werden. Und ist es nicht verständlich, dass sich viele fragen werden, wie sehr sie ihren Mitbürgern und Politikern, auch wenn diese zu den „guten“, ungefähr 87 Prozent des Wahlvolkes und der Gewählten gehören, trauen können, dass sie solidarisch zu ihnen stehen und sich nicht „jagen lassen“ von dem bösen Greis und seinem kuriosen Tross? Dass nicht auch sie, oder viele von ihnen, ganz tief im Innern denken, es stimme ja schon, dass dunkle Menschen, muslimische Menschen und letztlich auch die „europäischen Südländer“ eigentlich nicht wirklich dazugehören, wenn es hart auf hart kommt? Dass sie eben doch nicht deutsche Eigenschaften, deutsche Kultur, „deutsches Blut“ besitzen, welche eigentlich dazu berechtigen, die Segnungen Deutschlands genießen zu dürfen?
Das führt zu Entfremdungsgefühlen, aber auch zu Trotz und Widerstandswillen. Und die Geflüchteten? Wie fühlen die sich in einer Gesellschaft, die zum einen aus Menschen besteht, die sie in sozialpädagogischem Übereifer begleiten und betreuen, sie mit Makramee-Kursen, Theaterprojekten und Museumsbesuchen beglücken – neben der substantiellen Hilfe, die sie ihnen bieten –, und jenen, die sie als Gefahr für den Bestand ihres Volkes sehen und denen, die mit letzteren ins Gespräch kommen wollen? Welches Gefühl wird bei ihnen hängenbleiben, gerade bei jenen, die irgendwann auch Teil des „deutschen Volkes“ werden wollen? Aktuell Meinung
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In der allgemeinen Debatte werden meist die Muslime deutscher Herkunft ausgeblendet, diejenigen, die irgendwann in ihrem Leben vom Grundrecht auf freie Wahl der Religion Gebrauch gemacht und sich für den Islam entschieden haben. Vielleicht ist es deshalb, weil keine verläßlichen Zahlen über sie vorliegen oder weil sie in der Mehrheitsgesellschaft meist unauffällig bleiben. Da diese deutschstämmigen Muslime jedoch überwiegend nicht völkisch denken, die meisten von ihnen Ehen mit muslimischen Frauen nichtdeutscher Herkunft schließen und zudem viele von ihnen nicht an dem festhalten, was von den Vertretern von Pegida, AfD und noch manchen anderen als „Leitkultur“ angesehen wird, gelten sie bei den deutschen Kulturrassisten als Verräter.
Wenn die Pegida-Anhänger gegen eine vermeintliche „Islamisierung Deutschlands“ demonstrieren, denken sie wohl nur an Migranten und Flüchtlinge. Außer einer quantitativen gibt es auch eine qualitative „Islamisierung“, die sich z. B. darin äußert, daß viele der bereits eingebürgerten oder in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Muslime angefangen haben, im Zuge des weltweiten islamischen Wiedererwachens ihre Religion ernstzunehmen und sie mehr zu praktizieren, was sich bspw. in überfüllten Moscheen, bzw. Gebetsräumen, und einer zunehmenden Zahl von Kopftuchträgerinnen äußert.
Diese qualitative Islamisierung mit einer Reihe verschiedenster Verbote unterdrücken zu wollen, wäre, wie bei einem ständig an Druck zunehmendem Dampfkessel das Ventil zu verschließen. Anfangs käme zwar kein Dampf mehr heraus, aber am Ende würde der ganze Kessel dem Druck nicht mehr standhalten und explodieren. Eine solche Politik könnte vielleicht dazu angetan sein, eine ganze Generation von jugendlichen Muslimen zu radikalisieren und damit dem Terrorismus Tür und Tor zu öffnen, anstatt ihn zu bekämpfen.
@karakal
Bei allem Respekt, aber an ein „weltweites islamisches Erwachen“ zu Zeiten von islamistischem Terror zu denken ist komplett daneben. Die Muslime werden konservativer, aber nicht Durchsetzungsstärker, von den inneren Machtkämpfen ganz zu schweigen. Die islamischen Gesellschaften scheitern gnadenlos and der Globalisierung. Zu starr, zu kurzsichtig und keine neuen Impulse. Sich zurücklehnen und auf die Religion als sicheren Rückzugsort zu vertrauen ist der Hauptgrund warum islamisch geprägte Länder keine Konkurrenz darstellen. Die Menschen flüchten obendrein aus muslimisch geprägten Ländern in nicht-muslimische Länder…das erklärt auch Ihre volle Moscheen.
Aber vllt haben wir auch ein unterschiedliches Verständnis von Erwachen und Erfolg….
@Karakal: Sie vergleichen Verbote der Religionsfreiheit mit dem Verschließen eines Ventils. Genau diese Ventilfunktion hat das Demonstrationsrecht jedoch auch.
Gut geschriebener Text der Autorin!
Alles nur eine Frage der eigenen persönlichen Wahrnehmung. Wenn die Autorin Alexopoulou hier stellvertretend für „uns“, und damit gemeint sind ja wohl „wir“ alle hier in diesem Land, jetzt plötzlich glaubt zu wissen, dass es genau 12.6 Prozent dieser sogenannten „Mitbürger“ dieses komischen „deutschen Volkes“ sind, die „uns“ angeblich weghaben wollen, nur weil „wir“ schliesslich dunkle Haare und Augen haben und an einen islamischen Gott glauben, dann sagt das vieles, sogar alles aus über die Wahrnehmung dieser zugewanderten Migranten. Aber sehr wenig bis gar nichts über die Wahrnehmung derjenigen Einheimischen, die schon länger hier leben.
Es gibt im Deutschen das schöne Wort „Hassliebe“. Und wäre die Autorin das, was sie vorgibt zu sein, nämlich eine Historikerin, dann wüsste sie was es bedeutet. Dann würde sie nämlich zwei ganz einfache Fragen stellen, und sie auch gleich beantworten:
Erste Frage: _WARUM_ überhaupt wollen so viele Millionen Flüchtlinge aus aller welt, und vorzugsweise Muslime, ausgerechnet nach Deutschland flüchten? Und nicht etwa nach Japan, Argentinien, Russland, Mexico, Südafrika, oder in irgendein anders der 193 Länder dieser Welt? Es muss einen Grund dafür geben. Einfachste Antwort: Weil sie allesamt Deutschland und die Deutschen lieben.
Zweite Frage: _WARUM_ fühlen sich alle diese Migranten, kaum dass sie hier in Deutschland angekommen sind, also dem eigentlichen Ziel ihrer Träume und Sehnsüchte, ganz plötzlich rassistisch verfolgt und diskriminiert und politisch unterdrückt und ausgegrenzt und bedroht? Etwa nur wegen ihrer dunklen Haare und Augenfarbe, so wie die Autorin hier behauptet? Ganz sicher nicht. Es muss einen Grund dafür geben. Einfachste Antwort: Weil sie allesamt Deutschland und die Deutschen ganz plötzlich hassen.
Psychologen könnten sowas vielleicht enttäuschte Liebe nennen. Weil die immer nur auf einem Missverständnis beruhen kann, und niemals gegenseitig ist. Der grösste Fehler ist aber, den 12.6 Prozent einheimischen deutschen AfD-Wählern die Schuld daran zu geben. Denn genau dieses „völkische Denken“, dass die Autorin hier den Deutschen und speziell der AfD vorwirft, betreibt sie schliesslich selber. Wenn sie nämlich von „wir“ (=Migranten) und „Dumpfbacken“ (=deutsches Volk) redet.
Migration und Integration sehen jedenfalls anders aus, als das, was diese Autorin hier absondert.
Es geht nicht darum, dass wir ein „Mischvolk“ werden könnten, sondern darum, ob wir eine unbürgerliches Irgendetwas werden wollen, ohne Tradition, Ziel und verbindliche Werte. Zwischen Deutschland für alle und alles für das deutsche Land besteht halt ein riesen Unterschied. Solange keine geregelte Zuwanderung existiert, solange wird man den AfDlern nicht argumentativ am Zeug flicken können. Schon um 1400 war die Migration im deutschsprachigen Raum organisierter als jetzt! Die Frauen lebten damals freizügiger als viele Muslima jetzt.
Und mal abgesehen davon: Wir wollen unsere Standards beibehalten, deutsche Standards und keinesfalls die von Sizilien, Albanien usw.
Ich habe mich gerade gestern erst bei einem anderen Migazin-Thread über die, aus meiner Sicht, bodenlose Dummheit vieler in der AfD-Wählerschaft ausgelassen.
http://www.migazin.de/2017/10/09/studie-bundestagswahl-zeigt-neue-konfliktlinien-der-demokratie/
Nun wundere ich mich allerdings heute, nach Lektüre obiger Einlassungen, über den begrenzten Denkhorizont einer ganz offensichtlich doch gut integrierten, migrantischen Wissenschaftlerin. Zunächst einmal; ja, es ist richtig, knapp 13% der Wahlberechtigten haben dieser Partei „der Biedermänner und Brandstifterinnen“ ihre Stimme gegeben. Das ist eine schlimme Tatsache, an der es nichts zu beschönigen gibt! Ich vermute gar, dass diese 13% nur der harte Kern sind, und diese fremdenfeindliche Gedankenwelt noch weitere Kreise erfasst hat, die womöglich aber aus sozialpsychologischen Erwägungen, es derzeit noch nicht wagt AfD zu wählen. Also gehen wir mal von einem 20% tigem Bevökerunganteil dieser Leute aus. Und lassen wir auch mal den logischen Umkehrschluss außen vor, dass dann eben doch immer noch 80% der Wähler, dieser Truppe nichts abzugewinnen vermögen. Auch diesen aber nun allen pauschal zu unterstellen, dass latent womöglich das gleiche Denken in ihnen ausgeprägt ist, ist nicht nur ungerecht und rein spekulativ, sondern auch wissenschaftlich nicht belastbar, und aus dem Munde einer Historikerin eine erstaunliche Aussage! Es ist, es tut mir leid, schlicht eine Unterstellung, und das von einer Frau, die es gewiss besser wissen müßte. Ja, sie hat Gauland richtig verstanden. Wen will er nämlich „jagen“? Die demokratischen Parteien, an der Spitze die Kanzlerin, die Zivilgesellschaft, die freiheitliche Demokratie, die liberale Gesellschaft, im Grunde das gesamte, Achtung, „linksgrün versiffte System“. Da ist die Migration, zwar eine wichtige, aber nur eine von vielen Entwicklungen, vor denen diese, im Grunde ja feigen Angsthasen, die Hosen voll haben. Vor allem diejenigen, die in ihren Augen diesem Geschehen Vorschub leisten, also die unzähligen Menschen, die sich um Migranten kümmern, sie versuchen zu unterstützen und gerne mit ihnen in guter Nachbarschaft zusammen leben möchten, die für Gleichberechtigung und Teilhabe auf allen Ebenen werbenden, also die von der radikalen Rechten so verleumdeten „Gutmenschen“, sind besonderer Zielpunkt ihres Hasses. (Übrigens für jeden so Gekennzeichneten eine ungewollte Auszeichnung) Aber sie werden das Land, das längst nicht mehr das ihrige ist, (nicht das Volk, wie die Autorin falsch zitiert) dass sie sich zurückholen wollen, nicht zurück bekommen! Wir werden das unserige dafür tun, und Frau Alexopoulou ist herzlich eingeladen daran mitzuarbeiten, dass dem so bleibt, und nicht herum zu lamentieren über das böse Deutschland, in das dann doch so viele so gerne kommen und noch viel mehr gerne kämen!
Das aber jegliche Probleme einer Einwanderungsgesellschaft, insbesondere und gerade auch ihres muslimischen Teils, von Frau Alexopoulou unterschlagen werden, trägt nicht gerade zu ihrer Glaubwürdigkeit bei. Natürlich gibt es diese Schwierigkeiten, und nicht zu knapp. Und das schlichte Gemüter, die von anderen Ländern und Kulturen noch nicht allzuviel zu Gesicht bekommen haben, (viele einfach auch mangels Mittel) sich gelegentlich im eigenen Land nicht nicht mehr auszukennen vorgeben, mag übertrieben sein, ist aber noch lange kein Rassismus oder Fremdenhass, sondern Ausfluss von Unkenntnis Unsicherheit und Abstiegsängsten, über die sich Frau Alexopoulou ja aufregen mag, die kluge Politik aber stets im Kalkühl haben muss, denn ansonsten werden diese Menschen auf Dauer Futter für die Rechten sein. Und das darum Frau Wagenknecht den Finger in diese Wunde legt, mag für die Autorin unverständlich sein, ist aber zwingend notwendig, um noch Schlimmerem vorzubeugen!