Diskriminierungsdefinitionen
Wann hört ein bunter Hund auf, bunt zu sein?
Der Umgangston wird rauer, auch weil nun die AfD in der Mitte des gesellschaftlichen Diskurses angekommen ist. Daher sollte umso dezidierter darauf geachtet werden, mit Diskriminierungen von Minderheiten sensibel umzugehen. Pauschale und überbordende Diskriminierungsdefinitionen helfen dabei nicht. Von Oliver Harry Gerson
Von Dr. iur. Oliver Harry Gerson Donnerstag, 28.09.2017, 4:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 04.10.2017, 17:36 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
„Im 21. Jahrhundert trifft der lebensbejahende afrikanische Ausbreitungstyp auf den selbstverneinenden europäischen Platzhaltertyp“ (Björn Höcke)
Diskriminierungen und Schmähungen von Minderheiten oder ganzen Volksgruppen sind in Deutschland leider unentwegt an der Tagesordnung. Die sog. „Islamfeindlichkeit“ nimmt zu. Eine UN-Arbeitsgruppe kritisiert Deutschland für offenen Rassismus gegenüber Menschen mit afrikanischen Wurzeln. Bereits im Jahr 2006 ergaben Umfragen ungebrochen starke antisemitische Tendenzen in der deutschen Gesellschaft, im Jahr 2017 legte der „Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus“ einen 312 Seiten starken Bericht vor, der hartnäckig bestehenden latenten Antisemitismus anprangert (BT-Drucksache 18/11970 v. 07.04.2017, S. 55 ff.). Die Liste ließe sich erweitern um Diskriminierungen von diversen religiösen Kollektiven, Menschen mit Behinderungen oder anderen Randgruppen, aber auch um Frauen oder sozial Schwache. Durch den stimmenstarken Einzug der AfD in den deutschen Bundestag und die damit einhergehende Platzierung inmitten der bürgerlichen Gesellschaft wird die rhetorische Schärfe in allen genannten Feldern weiter zunehmen.
Die übrige Politik reagiert auf als Problem erkannte Diskriminierungen zumeist ähnlich. Einschlägige Berichte von Expertenkommissionen werden zur Kenntnis genommen und Sonderbeauftrage gefordert (z.B. EU-Sonderbeauftragter Antiziganismus/ Sonderbeauftragter Antisemitismus usw.). Häufig werden auch neue Definitionen der Diskriminierungshandlungen verfasst. Die Bundesregierung hat beispielsweise am 20.09.2017 die Antisemitismus-Definition der Internationalen Allianz für Holocaustgedenken (IHRA) offiziell anerkannt.
An der dadurch ausgedrückten Solidarisierung gibt es nichts zu deuten und im Ergebnis wenig zu kritisieren. Einzig die gewählten Methoden erscheinen zum Teil ausbaufähig, denn statt den Fokus auf die Sensibilisierung für Verstöße gegen Minderheitenrechte zu richten, sollte vielmehr eine Sensibilisierung für die Verbesserung der Zustände intendiert werden. Denkbar wäre ein „Leitfaden für den normalen Umgang mit Minderheiten“.
Das klingt zwar zunächst verwirrend, gründet jedoch in der Ambivalenz von Diskriminierungsdefinitionen. Im Folgenden wird daher die Zwiespältigkeit von Sensibilisierungsarbeiten durch (zu) weite Schutzdefinitionen betrachtet, um aufzuzeigen, dass eine ungenaue Problembeschreibung sogar konträre Wirkungen entfalten kann.
Definitionen als Bewusstseinsschärfer
Paradigmatisch ist die soeben angesprochene Antisemitismusdefinition herauszugreifen:
„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“
Diese Formulierung vereint Licht und Schatten, da sie die Kernaufgabe einer Definition, nämlich die Ab- und Umgrenzung eines zu beschreibenden Lebensphänomens, nur unvollständig erfüllt. Sie leistet keine begriffliche Klärung, sondern lediglich eine vage Umschreibung abstrakter Handlungen. Das ist im Ergebnis zu wenig. Antisemitismus ist ein Problem in der deutschen Gesellschaft. Das war auch vor dieser „Definition“ klar. Doch was genau „Hass“, „Worte“, „Taten“ und „Angriffe“ meinen, ist nicht ausbuchstabiert worden. Beschrieben wird, wie Antisemitismus auftreten kann, jedoch nicht, wann eine Handlung Antisemitismus ist.
Um ein Problem zu lösen, muss es benannt werden. Sprache liefert uns hierzu die erforderlichen Bausteine. Eine ideale Definition steckt einen abstrakt-normativen Rahmen ab, unter den Lebensphänomene gefasst werden können. Innerhalb dieses Deutungsrahmens lassen sich Argumente und Interpretationen austauschen, der frame schafft eine Handlungsplattform für den zu erarbeiteten Konsens. Definitionsfindungen sind daher heikle Prozesse: Sind die Begriffe zu weit oder zu unklar, wird überschießend geregelt und der Gefahr des „Aneinander-vorbei-Redens“ ein fruchtbarer Boden bereitet. Der Verständigung in der Sache geht demnach die Verständigung über die Begriffe voraus. Je pauschaler eine Definition, umso schwammiger der damit abgesteckte argumentative Raum. Wenn alles umfasst wird, ist eigentlich nichts gemeint und die Tür zur Fehlinterpretation weit aufgestoßen.
Gleichzeitig muss der kreierende, d.h. erschaffende Faktor einer Definition mitbedacht werden: Eine Begriffsverdichtung kann zugleich einen Konflikt beschreiben, der noch nicht oder zumindest nicht in dieser Form existiert. Durch dessen Besprechung wird er intersubjektive Wirklichkeit: Aus der vorsorglichen Formulierung des Eintritts eines spezifischen Umstandes kann sich deren tatsächlicher Eintritt entwickeln. Prophezeiungen tragen die Fähigkeit zur Selbsterfüllung in sich, da der auf Bestätigung seiner Ansichten konditionierte menschliche Geist – flapsig ausgedrückt – ungern unrecht hat. Ist eine Aussage in der Welt, wird sie durch den Realitätscheck aller involvierten Individuen bestätigt oder verworfen. Ungelenke Ergebnisse können insbesondere dann auftreten, wenn Bestätigungs- und Widerlegungsdynamiken nicht ausreichend antizipiert wurden und dadurch der ursprüngliche Impetus verlorengeht.
Die erste Kehrseite einer nicht passgenauen Definition ist damit, dass sie Probleme erschaffen kann, die es vorher als solche nicht gab.
Verbote als Anreiz zum Bruch
Eine zweite missliche Eigenschaft von Definitionen liegt in deren Nähe zu „Ge- und Verboten“. In dem Moment, in dem das zu beschreibende Lebensphänomen durch eine Definition herauskristallisiert wurde, ist es greifbar und damit beherrschbar. Augenblicklich tritt die machtkontaminierte Binarität unseres Denkens auf den Plan: Erlauben oder Verbieten tauchen als (scheinbare) Alternativen auf. Nicht nur, dass dies einen methodischen Kurzschluss darstellt, da die Beschreibung eines Zustandes noch keine Aussage über dessen Bewertung trifft, sprich: dass eine Sache ist, sagt als „nackte Tatsache“ noch nichts darüber aus, ob diese Sache auch sein soll. Zum anderen verliert jede noch so richtige Definition durch den direkten Konnex mit einem Ge- oder Verbot ihre Allgemeingültigkeit. Der „Reiz des Verbotenen“ setzt die Definition unnötig unter Druck.
Die zweite Kehrseite einer nicht passgenauen Definition ist damit, dass sie „Scheren im Kopf“ erzeugen kann, die inhaltliche Stringenz „wegschneiden“, um an deren Stelle Macht- und Kontrollfragen zu stellen.
Sensibilisierung und Verstetigung von Ungewolltem
Die dritte Kehrseite einer nicht passgenauen Definition ist die ambivalente Wirkung der durch sie bewirkten Sensibilisierung. Sensibilisierungen sind zwar ausgezeichnet geeignet, um Missstände aufzudecken bzw. sie bereits vorsorglich zu unterbinden. Der Nachteil der Sensibilisierung ist jedoch das Stigma, das denjenigen exponiert, der durch die besondere Vorsicht eigentlich geschützt werden soll. Ein Beispiel: Lautet die Aufgabe, den heutigen Tag tunlichst nicht Ausschau nach gelben Autos zu halten, wird man rund um die Uhr und ständig gelbe Autos erblicken. Geändert hat sich allerdings nicht das Aufkommen von gelben Autos (das auch ohne Beachtung völlig identisch wäre), sondern die gerichtete Anschauung auf Sachverhalte, die gerade nicht zu beachten sind, was bedeutet, dass man umso stärker darauf konditioniert wird, sich zu verdeutlichen, was man vermeiden soll, um es bei Wahrnehmung zu ignorieren.
Das „Ironische“ daran: So wie ich nicht auf Kommando spontan reagieren kann, so kann ich auch nicht aktiv vergessen. Je bewusster eine Handlung nicht ausgeführt werden soll, umso intensiver rückt sie ins Bewusstsein und beansprucht Raum in unserem Denken. Rassismus, Islamhass, Antisemitismus und weitere Diskriminierungen zu (!) pauschal zu verbieten, schafft damit dauerhaft „gelbe Autos“ und „bunte Hunde“, die uns sogar dann begegnen, wenn erste Anzeichen der Stagnation oder der Verbesserung der Zustände eintreten. Die Kehrseite der Sensibilisierung ist daher auf lange Sicht die Unfähigkeit zur Bewertung von Normalität. Das bedeutet nicht, dass Sensibilisierungsarbeit falsch wäre. Es bedarf jedoch der wohlüberlegten und passgenauen Dosis, um die aufgezeigten kontraproduktiven Rückkopplungsschleifen zu verhindern.
Vorleben von Normalität
Rassismus, Antisemitismus und andere Formen der Diskriminierung sind echte Probleme unserer Gesellschaft(en) und eine effektive Sensibilisierung tut weiterhin Not. Dazu bedarf es der Vermittlung von Faktenwissen über Ursachen und Folgen der Ressentiments sowie einen gesunden Umgang mit der eigenen Vergangenheit und der daraus resultierenden Verantwortung. Geleistet werden muss dieser Erziehungsakt durch Schulen, Ausbildungsbetriebe, Universitäten und das gesamte gesellschaftliche Umfeld. Das gilt entsprechend für weitere Formen der Diskriminierung, sei es gegenüber anderen Religionen, dem jeweils (!) anderen Geschlecht oder Menschen mit Behinderungen. Die Bemühungen der Bundesrepublik zum immer besseren Schutz von Minderheiten suchen weltweit ihresgleichen und sind nicht nur ein Zeichen des verantwortungsvollen Umgangs mit der eigenen Geschichte, sondern zugleich ein Paradebeispiel für die Sensibilisierung der eigenen Bevölkerung für die Bedeutung des Minderheitenschutzes und der Fürsorge für Benachteiligte.
Erziehen bedeutet jedoch nicht aufzwingen. Das Wissen und Bewusstsein muss vermittelt und (vor-)gelebt werden, um es zu praktischem Anwendungswissen zu machen. Zu weite Definition münzen hingegen jede kritische Äußerung vorschnell zur Diskriminierung um, was zur Relativierung der originären Definition des Lebensphänomens, zur Überbetonung von Machtfragen sowie zur kognitiven Verstetigung des gerade nicht gewollten Verhaltens durch umgedrehte Verdrängung führt.
Diskriminierungsfreies Zusammenleben muss eine Gesellschaft von Innen heraus wollen, intrinsisch einfordern und aktiv leben. Ansonsten überformt sie Toleranz und Verständnis zur Suche nach „bunten Hunden“. Leitartikel Meinung
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Zunächst einmal ist der Begriff „Antisemitismus“ also solcher abzulehnen, da die Begrenzung von „semitisch“ nur auf Juden falsch ist. „Semitisch“ läßt sich nur über die Sprache definieren, es gibt keine semitische Rasse oder Volkszugehörigkeit. Jeder, der eine der semitischen Sprachen, von denen das Arabische die ursprünglichste ist, spricht, ist ein Semit, nicht nur Juden. Vielmehr sind Juden, die keine semitische Sprache sprechen, demnach keine Semiten. Daher stößt es bei den Arabern auf Unverständnis, wenn man ihnen „Antisemitismus“ vorwirft.
Die Einbeziehung des „Staates Israel“ in die von der Bundesregierung übernommene Definition des Begriffes „Antisemitismus“ ist ebenso abzulehnen, da damit dem Anspruch des zionistischen Regimes, sich als jüdischen Staat unter Ausschluß der nichtjüdischen israelischen Staatsbürger zu definieren, Vorschub geleistet wird. Offensichtlich ist die Übernahme dieser unglücklich formulierten Definition unter dem Einfluß pro-zionistischer Kräfte zustande gekommen, womit sich die Bundesregierung wieder einmal als nicht neutral, sondern zionistenfreundlich entlarvt.